Die Herrin Thu
Kontrast zwischen der Qualität des Leinens, das ich trug, und meinem zerzausten Äußeren schien ihn ratlos zu machen, doch nachdem er sich überzeugt hatte, daß ich nicht versuchte, meinen Körper in seinem Lokal feilzubieten, verzog er sich wieder.
Ich sah die Gäste kommen und gehen, ein stetiger, fröhlicher Strom von jungen Hauptleuten und niederem Stadtvolk mit seinen Frauen. Zuweilen blickte sich einer in dem immer stickiger werdenden Lokal um, und ich erstarrte und beugte mich ins Licht, doch keiner näherte sich. Allmählich wurde mir ängstlich zumute. Kamen hatte ganz eindeutig gesagt, daß er mir jeden dritten Abend eine Nachricht zukommen lassen würde, doch die Stunden vergingen, der Besitzer machte deutlich, daß er auf meinem Platz lieber einen Zecher sehen würde, und ich machte mich allzu verdächtig so allein unter Soldaten, die zwar nicht im Dienst waren, aber gewißlich meine Beschreibung hatten.
Jetzt lauschte ich auch auf die Unterhaltung ringsum, erwartete, daß mein Name unter den vielen Menschen fiel. In den Augen, die mich flüchtig musterten, meinte ich einen unbestimmten Argwohn zu lesen, ein Abwägen, ob man mich kannte, und am Ende hielt ich es nicht länger aus. Jäh stand ich auf und verzog mich aufatmend in die verschattete Gasse. Kamen war irgend etwas zugestoßen, davon war ich überzeugt. Ich kannte ihn bereits als einen Mann von Wort, und außerdem hatte er sich rührend um mich gekümmert. Er wußte, daß ich Angst hatte, es mußte also einen guten Grund für sein Schweigen geben.
Nein, keinen guten Grund, dachte ich, als ich im Dunkel untertauchte und auf das Ende der Straße der Korbverkäufer zustrebte. Einen schlimmen. Irgendeinen finsteren Grund. Paiis hat ihn gefunden. Paiis hat ihn ermordet. Helle Angst packte mich, und mein Herz fing an zu hämmern. Nein. Das darfst du nicht denken. Denk nur an Verhaftung. Nimm an, daß er sich versteckt hat und sich nicht zeigen kann. Er darf nicht sterben, sonst breche ich unter der Schuld zusammen und sterbe auch. So grausam können die Götter nicht sein, daß sie mich ihn finden lassen, nur um ihn mir wieder zu entreißen. O Wepwawet, Wegbereiter, bitte hilf mir! Was soll ich nur tun?
Eine Hand legte sich auf meine Schulter, und dumm, wie ich war, schoß es mir durch den Kopf, es wäre der Gott persönlich, der sich von hinten angeschlichen und auf mein Gebet geantwortet hätte. Der Atem stockte mir. Der Druck der Hand wurde stärker, zwang mich zum Stehen bleiben und schob mich aus dem grellen Fackelschein der größeren Straße zurück ins Dunkel.
Vor mir stand ein junger Mann, der die Hand zu meinem Oberarm wechselte und mich anblickte. Sofort erkannte ich in ihm einen der Zecher aus dem Bierhaus. Kamens Bote, dachte ich erleichtert. Er will nicht mit mir zusammen gesehen werden und hat gewartet, bis ich gegangen bin. Dennoch hatte ich nicht die Absicht, mich vor der Zeit zu erkennen zu geben, denn es gefiel mir gar nicht, wie fest er mich packte. „Welche Farbe haben deine Augen?“ fragte er brüsk.
„Du verwechselst mich mit einem Freudenmädchen“, gab ich ruhig zurück. „Ich verkaufe mich nicht.“ Er beugte sich vor und starrte mich eindringlich an, dann zog er mich höflich, aber bestimmt zu einer geöffneten Tür, aus der ein wenig Licht fiel. Ärgerlich versuchte ich, mich loszureißen, doch er packte mich nur noch fester und musterte mich sorgfältig.
„Lautet dein Name Thu aus Aswat?“ fragte er. Entsetzen überfiel mich.
„Nein, so heiße ich nicht“, sagte ich, „und wenn du mich nicht losläßt, schreie ich. Es ist gesetzlich verboten, Frauen in der Öffentlichkeit zu belästigen.“ Das berührte ihn überhaupt nicht, und auch sein Griff lockerte sich nicht.
„Ich glaube doch“, erwiderte er. „Die Beschreibung, die mir mein Hauptmann gegeben hat, paßt auf dich. Hochgewachsen, blauäugig, eine Bäuerin, die mit der Anmut einer Edelfrau geht und gebildet spricht. Ich bin dir aus dem Goldenen Skorpion gefolgt, weil ich mir nicht sicher war, ob ich dich erkannt hätte, aber jetzt gibt es keinen Zweifel mehr. Du bist verhaftet.“ Rasch sah ich mich um, aber leider war die Straße im Augenblick leer, nicht einmal die allerbeharrlichste Hure ließ sich blicken.
„Und du bist betrunken“, sagte ich laut und beleidigend. „Falls du mich auf der Stelle losläßt, sage ich der städtischen Polizei auch nicht, wie du dich aufgeführt hast. Sonst wachst du morgen auf und hast mehr zu bedauern als
Weitere Kostenlose Bücher