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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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nicht?“
    „Danke.“ Er erbrach das Siegel, auf dessen Wachs Herkunft und Jahrgang eingeprägt waren, griff hinter sich zum Bord und stellte zwei Becher auf den Schreibtisch. Während er einschenkte, sammelte ich mich so weit, daß ich die Insignien auf seinem Lederhelm und Armband prüfen konnte. Er gehörte zur Horus-Division, die unter dem persönlichen Befehl des Prinzen stand. Und hatte der junge Hauptmann nicht gesagt, daß mein Verhaftungsbefehl vom Prinzen kam? In meiner Angst hatte ich nicht auf seine Worte geachtet, doch jetzt fielen sie mir wieder ein.
    „Du stehst nicht unter dem Befehl von General Paiis?“ rutschte es mir heraus. Er blickte überrascht hoch, dann reichte er mir einen der Becher.
    „Nein, natürlich nicht“, erwiderte er. „Wie kommst du darauf, daß du auf Befehl des Generals verhaftet worden bist? Prinz Ramses höchstpersönlich hat den Haftbefehl unterzeichnet. Trink. Du siehst völlig erschlagen aus.“
    „Hat der Prinz meine Verhaftung auf Empfehlung des Generals angeordnet?“ Er blinzelte ratlos.
    „Keine Ahnung. Ich weiß nur, daß die Stadtpolizei und alle Männer aus der Division des Prinzen, die Dienst oder Wache haben, vor ein paar Stunden mit der Suche nach dir beauftragt worden sind. Du wirst dringend gesucht. Im Guten oder im Bösen?“ Ich rang mir ein Lächeln ab und hob den Becher zum
    Mund. Der Wein roch nach Hui und lief mir wie eines seiner Elixiere die Kehle hinunter.
    „Ich weiß nicht“, sagte ich ehrlich und stellte den Becher zurück auf den Schreibtisch. Allmählich fühlte ich mich besser. Falls der Prinz mich finden wollte, so mußte das heißen, daß Paiis es nicht geschafft hatte, sein schmutziges Mordkomplott geheimzuhalten. Oder zumindest war er gezwungen gewesen, einige Vorwände für meine Verhaftung vorzubringen, und das begrenzte seine Macht, mir und Kamen zu schaden. Und wo war mein Sohn? Hatte er das Ohr des Palastes schließlich doch noch erreicht? Auf einmal war ich hungrig. Der Hauptmann merkte, daß ich nach dem Beutel schielte, und schob ihn mir zu.
    „Iß nur“, sagte er und setzte sich wieder. Ich schenkte mir Wein nach und stürzte mich auf das Brot, die Feigen und den Käse.
    „Den Rest des Weins kannst du behalten“, sagte ich. „Und wo soll ich jetzt die Nacht verbringen? Und hast du Nachricht von meinem Sohn?“ Er legte die Stirn in Falten.
    „Von deinem Sohn? Nein. Ich habe gar nicht gewußt, daß du einen Sohn hast. Ich weiß nichts über dich, Thu. Und was dein Nachtlager angeht, so lautet mein Befehl, dich sofort, nachdem man dich gefunden hat, in den königlichen Harem zu schaffen.“
    Meine Aufregung verdichtete sich zu einem unverdaulichen Kloß aus heruntergeschlungenem Essen und zu schnell getrunkenem Wein. Mir wurde übel, ich schluckte krampfhaft. Dann wurde mir schwarz vor Augen, und ich mußte mich an der Schreibtischkante festhalten. „Nein“, flüsterte ich. „Nein! Ich kann nicht zurück, nicht jetzt, nicht nach so vielen Jahren. Der Harem ist ein Gefängnis, dem entrinne ich kein zweites Mal, dort wartet der Tod auf mich, bitte, bitte, bring mich überall, nur nicht dorthin!“ Ich wurde schriller und schriller. Meine Finger krallten sich in den Schreibtisch. Das hier hat nichts mit Paiis zu tun, dachte ich außer mir. Das ist der Prinz. Der wird seine boshafte Freude daran haben, mich wieder in der Falle zu sehen, und dieses Mal gibt es niemanden, der mich beschützt. Ich verschwinde in jener riesigen Herde parfümierter Kühe. Wie gern wäre ich aus dem Zimmer gestürzt, doch meine Gliedmaßen zitterten so sehr, daß ich kaum den Kopf heben konnte. Der Hauptmann beugte sich vor, löste meine Hände vom Schreibtisch und nahm sie in die seinen, die angenehm warm waren.
    „Ich kenne die Geschichte nicht, die du mir möglicherweise erzählen könntest“, sagte er bedächtig, so als beschwichtigte er ein verängstigtes Kind, und in diesem Augenblick war ich in der Tat ein Kind, das völlig verstört war von der Aussicht auf ein Los schlimmer als der Tod von Paiis’ Hand. „Ich weiß nur, daß der Prinz Erbarmen kennt, ein fähiger Erbe und würdig ist, den Horusthron zu besteigen, wenn sein Vater zu den Göttern versammelt wird. Er ist weder kleinlich noch gehässig. Und seine Strafen sind nicht schlimmer als die Verbrechen, die er aburteilt. Du bist verständlicherweise außer dir, nachdem man dich vor aller Augen durch die Stadt geführt hat. Beruhige dich.“
    Ich bin außer mir, weil meine

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