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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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hatte mir noch nie erlaubt, ihn bei seinen Geschäften mit Ägyptens größtem Hellseher zu begleiten. „Der Mann führt einen ausgesprochen ehrbaren Haushalt“, hatte er recht unwirsch zu mir gesagt, als ich ihn fragte, warum ich nicht mitdürfe, „aber er hält verbissen auf seine Abgeschiedenheit. Das würde ich auch tun, wenn ich mit seinem Gebrechen geschlagen wäre.“
    „Was für ein Gebrechen?“ hatte ich weitergebohrt. Ganz Ägypten wußte, daß der Seher unter einer schrecklichen körperlichen Entstellung litt. Bei seinen seltenen öffentlichen Auftritten ging er von Kopf bis Fuß verhüllt und in weiße Leinenbinden gewickelt, daß sogar sein Gesicht nicht zu sehen war. Doch da mein Vater ihn so häufig besuchte, hatte ich gehofft, daß er mir nähere Auskünfte geben könnte. „Ist der Seher entstellt?“
    „Ich glaube nicht“, hatte mein Vater vorsichtig geantwortet. „Er redet ungemein vernünftig. Er geht auf zwei Beinen und kann offensichtlich beide Arme gebrauchen. Sein Oberkörper ist für einen Mann mittleren Alters noch gefällig schlank. Unter seinen Binden natürlich. Ich habe noch nicht das Vorrecht gehabt, ihn ohne sie zu sehen.“ Bei dieser Unterhaltung war ich neun gewesen, und neugierig wie Kinder sind, hatte ich auf eine Gelegenheit gewartet und Pa-Bast ausgequetscht. Doch der gab sich noch zugeknöpfter als mein Vater.
    „Pa-Bast, du bist doch mit Harshira, dem Hofmeister des großen Sehers, befreundet“, so hatte ich angefangen, nachdem ich mich so dreist wie üblich in sein kleines Arbeitszimmer gedrängt hatte, wo er an seinem Schreibtisch über eine Rolle gebeugt saß. „Redet er viel über seinen berühmten Herrn?“ Pa-Bast hatte aufgeblickt und mich kühl gemustert.
    „Es gehört sich nicht, ohne anzuklopfen einzudringen, Kamen“, hatte er mich getadelt. „Wie du siehst, habe ich zu tun.“ Ich entschuldigte mich, wich und wankte aber nicht.
    „Mein Vater hat mir erzählt, was er weiß“, sagte ich vollkommen unbeeindruckt, „und seine Worte haben mich betrübt. Ich möchte den Seher in meine Gebete zu Amun und Wepwawet einschließen, aber beim Beten muß man genau sein. Die Götter mögen es nicht, wenn man sich unklar ausdrückt.“ Pa-Bast lehnte sich zurück und lächelte verhalten.
    „Ach, mögen sie das nichtjunger Herr?“ sagte er. „Aber sie haben auch keine Nachsicht mit kleinen Heuchlern, die auf saftigen Klatsch aus sind. Harshira ist in der Tat mein Freund. Er redet nicht über die privaten Angelegenheiten seines Herrn und ich nicht über die des meinen. Und ich finde, du solltest dich um deine eigenen kümmern, vor allem wenn man das schwache Bild bedenkt, das du im Studium der Militärgeschichte abgibst, und den Seher in Ruhe lassen.“ Darauf hatte er den Kopf wieder über seine Arbeit gesenkt, und ich hatte ihn vollkommen unbußfertig verlassen, denn meine Neugier war nicht gestillt.
    Meine Noten in Militärgeschichte besserten sich, und ich lernte recht und schlecht, meine Nase nicht in anderer Leute Angelegenheiten zu stecken. Doch in Mußestunden ging mir noch immer der mächtige und rätselhafte Mann durch den Kopf, dem die Götter ihre Geheimnisse enthüllten und der, so wurde gemunkelt, mit einem Blick heilen konnte. Als ich jetzt am dunklen Schlund seines Pylons vorbeieilte, stellte ich ihn mir als einen in Binden gewickelten Leichnam vor, der reglos im Dämmerlicht des stillen Hauses saß, dessen obere Fenster zuweilen hinter dem dichten Gebüsch des Gartens zu sehen waren.
    Als ich sein Anwesen passiert hatte, hob sich meine Stimmung, und kurz darauf erreichte ich auch schon Takhurus Pforte. Die Wachtposten winkten mich durch, und ich ging eilenden Schrittes den sandigen Weg entlang, der sich durch dichtes Gebüsch schlängelte. Wäre er gerade gewesen, ich hätte die eindrucksvolle Säulenfassade des Hauses schneller erreicht, doch Takhurus Vater hatte sein Grundstück so angelegt, daß es den Eindruck von mehr Aruren vermittelte, als er tatsächlich besaß. Die Pfade wanden sich um Doum-Palmen, Zierteiche und sonderbar geformte Blumenbeete, ehe sie zu dem großen, gepflasterten Hof führten; das Gebäude selbst sah man erst, wenn man um die letzte Biegung kam. Diese Vortäuschung falscher Tatsachen belustigte meinen Vater, und er sagte, das Anwesen erinnere ihn an ein von einem übereifrigen Fayence-Arbeiter entworfenes Mosaik, das beim Betrachter Kopfschmerzen auslösen solle. Das hatte er natürlich nicht öffentlich geäußert.

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