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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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blickte sie mich über das Brett hinweg an, doch ihre Miene war im Zwielicht nur undeutlich auszumachen.
    „Getanzt, Kamen? Was meinst du damit? Dazu fühle ich mich nicht berufen.“ „Ich meine nicht im Tempel“, entgegnete ich. „Ich weiß, daß du dafür nicht ausgebildet bist. Ich meine ganz allein tanzen, im Garten vielleicht oder vor deinem Fenster oder sogar im Mondschein, aus reiner Freude oder vielleicht aus Wut.“
    Sie starrte mich einen Augenblick verständnislos an, dann lachte sie schallend. „Ihr Götter, Kamen, natürlich nicht! Was für ein abartiger Gedanke! Warum sollte sich jemand so gehen lassen? Paß auf. Gleich werfe ich dich ins Wasser. Ein schlechtes Omen für den morgigen Tag!“
    Ja, warum? dachte ich zerknirscht, während sie meine Spule auf das Feld schob, das die dunklen Wasser der Unterwelt symbolisierte, aufblickte und mich noch einmal auslachte. Der Zug bedeutete das Spielende, obwohl ich noch um einen glücklichen Wurf kämpfte, der mich erlöste, doch gleich daraufschob sie die Spielsteine in die Schachtel, klappte den Deckel zu und stand auf.
    „Sei morgen vorsichtig“, warnte sie mich halb im Ernst, ergriff meine Hand und ging mit mir zur Treppe. „Senet ist ein Zauberspiel, und du hast heute Abend verloren. Kommst du noch mit ins Haus?“ Ich bückte mich, küßte sie voll auf den Mund und schmeckte Zimt und ihren lieblichen, gesunden Geschmack, und sie erwiderte den Kuß, entzog sich mir jedoch wie immer, und ich ließ sie gewähren.
    „Ich kann nicht“, sagte ich. „Ich treffe mich noch mit Achebset, ich muß doch wissen, was während meiner Abwesenheit so alles in der Kaserne passiert ist.“ „Du meinst, du willst eine Nacht durchzechen“, murrte sie. „Na schön, schick mir also Nachricht, wann wir uns die Stühle ansehen können. Gute Nacht, Kamen.“ Ihre ständigen Anstrengungen, mich unausgesprochen zu lenken, waren ermüdend. Ich wünschte ihr eine gute Nacht, sah ihrem kerzengeraden Rücken nach, wie er aus dem Dunkel ins fahle Licht der bereits im Haus entzündeten Lampen trat, dann wandte ich mich ab und durchquerte den dunkel verschatteten Garten. Aus unerfindlichem Grund fühlte ich mich nicht nur müde, sondern wie ausgelaugt. Ich hatte mit diesem Besuch mehr als meine Pflicht getan, hatte sie beschwichtigt, mich für etwas entschuldigt, das ich nicht einmal erwähnt hätte, wäre sie meine Schwester oder Freundin gewesen, und ich freute mich weitaus mehr auf einen Abend im Bierhaus mit Achebset und meinen anderen Kameraden. Denen mußte ich nichts erklären, und auch nicht den Frauen, die Bier und Essen brachten oder in den Hurenhäusern wohnten, in denen wir uns zuweilen um die Morgendämmerung herum einfanden.
    Ich hatte den Fluß erreicht, hier blieb ich stehen und betrachtete den verzerrten Sternenschein auf der trägen Strömung des Wassers. Was ist los mit dir? schalt ich mich streng. Sie ist schön und keusch, ihr Blut ist rein, du kennst sie und bist seit Jahren gern in ihrer Gesellschaft. Warum schreckst du auf einmal vor ihr zurück? Ein Lufthauch ließ die Blätter über mir erzittern, und ganz kurz erhellte ein Strahl des Neumonds die Binsen zu meinen Füßen. Der Anblick bewirkte einen Anfall von Panik, den ich jedoch unterdrückte, ehe ich mich abwandte und weiterging.

 
Drittes Kapitel
    Den mir verbleibenden freien Tag verbrachte ich mit einem schlimmen Brummschädel. Ich diktierte meiner Mutter und meinen Schwestern in Favum einen Brief, wie ich ihn mir interessanter nicht ausdenken konnte, und schwamm in dem vergeblichen Bemühen, meinen Körper von dem zugegebenermaßen genußreichen Gift zu befreien, das er zu sich genommen hatte. Takhuru schickte ich eine Botschaft, daß wir uns nach meiner ersten Wache für den General in der Werkstatt des Holzschnitzers treffen wollten. Abends speiste ich mit meinem Vater und überzeugte mich später, daß Setau meine Ausrüstung gereinigt und für den nächsten Morgen bereitgelegt hatte. Ich mußte den Offizier vor der Tür des Generals in der Morgendämmerung ablösen und wollte früh zu Bett, doch drei Stunden nach Sonnenuntergang wälzte ich mich noch immer ruhelos unter meinen Laken, während die Neige in meiner Lampe verbrannte. Wepwawet, der zwar geradeaus in die huschenden Schatten meines Zimmers starrte, schien mich dennoch abwägend und mit einer gewissen Mißbilligung anzusehen. Schließlich wurde mir klar, daß an Schlaf nicht zu denken war, ehe ich meinen inneren Zwiespalt nicht

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