Die Herrin Thu
zogen mich in eine Unterhaltung. Die Kunde vom Prozeß und seinem Ausgang hatte sich während der Nacht in Windeseile und auf rätselhafte Weise verbreitet, wie es Neuigkeiten so an sich haben, und die Frauen waren neugierig und erpicht auf Einzelheiten, falls ich welche preisgeben wollte. Ich sprach ganz offen mit ihnen, während ich geschrubbt, massiert und eingeölt wurde. Eine fragte mich sogar, ob ich wieder als Heilkundige unter den Frauen arbeiten wolle, wo ich doch wieder im Harem sei. Ich sagte ihr ehrlich, daß mir der Pharao zwar die Freiheit geschenkt und mir erlaubt hätte, mir Arzneikräuter zum eigenen Gebrauch zu nehmen, er dieses besondere Verbot jedoch nicht aufgehoben hätte und ich plante, mich mit meinem Sohn an einem ruhigen Ort niederzulassen.
Als ich wieder in meiner Zelle war, aß ich mit gutem Appetit und dachte darüber nach, warum ich mich bei meinem ersten Aufenthalt im Harem von den anderen Bewohnerinnen abgesondert hatte. Ich hatte zwar ihre verschiedenen kleinen Beschwerden behandelt, sie jedoch als Feindinnen, als Mitbewerberinnen um die Gunst des Pharaos angesehen, als mögliche Herausforderinnen in dem erbarmungslosen Kampf zwischen eifersüchtigen und ehrgeizigen Nebenfrauen. Diese Art Spannungen hatte es im Kinderflügel nicht gegeben, nachdem ich Kamen geboren hatte und für immer aus diesem Teil des Harems verbannt worden war. Doch ich war so zornig und verzweifelt gewesen, daß ich mir selbst dort die anderen vom Leib gehalten, sie als Ehemalige, als friedfertige und gottergebene Schafe angesehen hatte. Die Angst, Überheblichkeit und Unsicherheit einer Bäuerin in Gesellschaft von Höhergestellten hatten meiner Verachtung zugrunde gelegen. Vermutlich war ich noch immer überheblich und würde es auch immer bleiben. Eitelkeit und Stolz hatten mir seit meiner Kindheit zu schaffen gemacht. Doch ich hatte keine Angst mehr davor, was das Leben oder meine Mitmenschen mir antun könnten, und was meine Unsicherheit anging, so hatten Titel und Adel Paiis und die anderen Verurteilten auch nicht gerettet.
Ich wurde erst am Abend geholt. In der Zwischenzeit hatte ich noch einen Brief an meinen Bruder diktiert und um einen vom Palast empfohlenen Landvermesser gebeten, den ich eingehend über Gehöfte und Anwesen ausgefragt hatte, die in ganz Ägypten auf dem Markt waren. Es gab mehrere in Richtung Süden, in der Gegend von Theben, doch ich wollte nicht in enger Nachbarschaft mit Amun und seinen mächtigen Priestern wohnen. In Mittelägypten wurden auch einige wenige Anwesen mit großen Häusern und fruchtbaren Ackern angeboten, doch die lagen mir zu nahe an Aswat.
Natürlich gab es auch Khato-Land, denn Paiis’ viele Aruren waren allesamt an die Doppelkrone gefallen, doch eher würde ich wieder in einer Hütte hausen, als den Pharao darum zu bitten und somit Gewinn aus dem Sturz des Generals zu ziehen. Mochten ihm andere Aasgeier das Fleisch von den Knochen picken. Mit Sehnsucht dachte ich an mein hübsches kleines Anwesen in Fayum. Das gehörte jetzt jemand anderem. Der fruchtbare Boden ernährte Fremde, und sein Haus, das Haus, das ich mit so viel Liebe und Sorgfalt renovieren wollte, beherbergte andere Träume als meine. Ich erbat mir von dem Landvermesser eine Liste aller Besitztümer zusammen mit dem Preis und schickte ihn fort. Ich war entmutigt. Vielleicht sollte ich Kamen die Liste zeigen und ihn fragen, wo er gern leben wollte.
Zum Mittagsschlaf zog ich mich zurück, aß wieder und ließ mir von Isis die Kosmetikerin und den Kleiderverwalter mit seiner Auswahl an Gewändern und Sandalen holen. Gerade als ich die Arme hochhielt, damit Isis mir den goldenen, geflochtenen Gürtel um das blaue Kleid binden konnte, das ich ausgesucht hatte, verdunkelte der Herold des Prinzen meine Tür und verbeugte sich. Ich war bereit, das Haar mit goldenen Bändern durchflochten, die Augen mit blauem Lidschatten und dunklem Khol geschminkt, der Mund, die Handflächen und die Fußsohlen mit Henna bemalt.
Ich folgte dem Herold den Weg neben dem Rasen entlang, zum Hof hinaus und über das Pflaster, das sich den ganzen Weg vom Haremstor bis hin zu den Dienstbotenquartieren weiter hinten erstreckte. Die Wache am Palasttor ließ uns durch, und wir bogen rechts ab, ließen die Flügeltür zum Schlafgemach des Pharaos hinter uns und strebten der Treppe zu, die außen am Thronsaal zu den
Gemächern des Prinzen führte. Die stiegen wir hoch, traten durch die erste Tür, durchquerten den schmalen Gang,
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