Die Herrin Thu
lebt. Ich lebe. Welche Ironie! Doch aus ihren Hälsen wird das Blut auf die Beine der Scharfrichter spritzen und wird vor der Zellenreihe, an die ich mich noch gut erinnere, Lachen bilden, und das alles, weil ich eines Abends in Wepwawets Tempel Kamen getroffen habe. Mich schauderte. All diese Leben. Es ist gerecht, aber ihr Blut wird im Gerichtssaal die Waagschale belasten, wenn auch mein Herz gewogen wird, und sie zu meinen Ungunsten senken.
Ich war sehr müde. Die hohen Lampen, die von Dienern auf leisen Sohlen versorgt wurden, die sich unauffällig von einer zur anderen bewegten, brannten stetig inmitten der großen gelben Lichtkegel, die sie warfen. Auf dem dunkel schimmernden Fußboden funkelten die goldenen Pyriteinschlüsse und wurden matter, je nachdem, wie die Lampen flackerten. Die Decke des riesigen Raums hüllte sich in Dunkel, und ein Meer von Dunkelheit trennte mich von den Verurteilten an der Wand gegenüber, so als ob die Todesurteile bereits ausgeführt worden wären und ich auf der anderen Seite des Abgrundes, der die Lebenden von den Toten trennte, nur bleiche Geister erblickte.
Mersura, Panauk, Pentu und Paibekamun wurden auch zum Tod durch Köpfen verurteilt. Sie nahmen ihr Urteil teilnahmslos entgegen. Ich konnte sehen, daß die Wirklichkeit der prinzlichen Worte ihre Erschöpfung nicht mehr durchdrang. Sie wollten nur noch ruhen und essen. Vielleicht schmerzte ihnen der Rücken, und ihre Knöchel waren nach einem Tag erzwungener Muße geschwollen. Ihre Körper wußten noch nicht, daß jeder Augenblick kostbar war und nicht mehr auf Essen und Gefühle verschwendet werden durfte, und ihre Hirne hatten die drohende Vernichtung noch nicht in ihrer ganzen Entsetzlichkeit erfaßt.
Auch der Prinz wirkte erschöpft. Die Schatten unter seinen mit Khol umrandeten Augen waren tiefer geworden, seine Lider waren etwas geschwollen. Es war, als hätte sich eine erstickende Decke über alle gelegt. Nur der Protokollordner zeigte keinerlei Anzeichen von Ermüdung. Geduldig wartete er auf die letzten Urteile. „General Paiis, steh auf“, sagte Ramses. Mit einer einzigen anmutigen Bewegung kam Paiis hoch. „General Paiis, schuldig in dieser Sache. Man sperre dich ein, wo du dir binnen sieben Tagen, von heute an gerechnet, das Leben nehmen sollst, aufweiche Art auch immer, denn so sieht es das Gesetz für Menschen von Adel vor. Deine Aruren und Anwesen sind von dieser Stunde an Khato, deine Ernten, dein Vieh und andere Reichtümer fallen an die Doppelkrone. Nehmt ihm die Armbänder des Befehlshabers ab.“
„General Paiis, du hast deine Strafe erhalten“, sagte der Protokollordner und redete ihn dabei zum letzten Mal mit seinem Titel an, während ein Offizier bereits auf Paiis zuging. Doch Paiis zog sich selbst die goldenen Abzeichen seiner militärischen Stellung vom Arm und überreichte sie dem Mann. Dabei lief sein Gesicht hochrot an, und dann wich die Farbe genauso schnell, wie sie gekommen war, er wurde kreidebleich. Aber er wankte nicht.
„Herrin Hunro, steh auf.“ Die Stimme des Prinzen klang heiser, doch daran waren vermutlich nicht Gefühle schuld, sondern lediglich seine Müdigkeit. Hunro stand auf, doch mit einer Hand mußte sie sich auf Banemus’ Schulter stützen. „Herrin Hunro, schuldig in dieser Sache. Man sperre dich ein, wo du dir binnen sieben Tagen, von heute an gerechnet, das Leben nehmen sollst, auf welche Art auch immer, denn so sieht es das Gesetz für Menschen von Adel vor. Deine Aruren und Anwesen sind von dieser Stunde an Khato, deine Ernten, dein Vieh und andere Reichtümer fallen an die Doppelkrone. Dein Titel ist null und nichtig.“
„Wo ist Hui?“ schrie Hunro außer sich und übertönte den Singsang des Protokollordners, der ihr mitteilte, sie habe ihre Strafe erhalten. „Was ist mit ihm? Warum wird er nicht auch verurteilt? Das ist ungerecht!“ Ramses überhörte sie.
„General Banemus, steh auf“, befahl er. Banemus stand auf und schob Hunro auf ihren Stuhl, ehe er sich dem Prinzen zuwandte. Doch Ramses verkündete nicht das erwartete Urteil. Er schürzte die Lippen und betrachtete seinen Krieger nachdenklich. „General, du stellst mich vor ein Problem“, sagte er. „Nach dem Gesetz der Maat sollte ich dich mit den anderen zum Tode verurteilen, doch du bist der fähigste General, den Ägypten hat, und merkwürdigerweise auch der ehrlichste. Du hast dich bei meinem Vater viele Male gegen die Dummheit eingesetzt, Ägyptens beste Soldaten dort einzusetzen,
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