Die Herrin Thu
gelesen habe. Ich weiß, wie weit er deine Seele und deine Sinne gefesselt hat, daß du ihn so gründlich hassen kannst.“ Seine Worte klangen mitfühlend, doch seine Augen waren schmal geworden und blickten nicht freundlich, und sein großer Mund verzog sich zu einem schlauen Lächeln. „Welche Ironie, daß ausgerechnet er der Bestrafung entgangen ist. Eine unverständliche Laune der Götter. Laß uns dennoch auf die Rache trinken, auf deine und die des Horusthrons. Möge sie eines Tages vollendet werden.“
Der Wein war trocken und berauschend und glitt sanft die Kehle hinunter. „So einfach ist das nicht, Prinz“, sagte ich. „Er hat mich nicht völlig zum Narren gehalten, und ich liebe oder hasse ihn nicht ganz so stark, wie du annimmst. Er ist auch nicht mehr meine ganze Welt. Er bewohnt einen Winkel, wo die Wand unvollendet ist und die Tür ohne Türblatt. Diesen Raum bewohnt auch mein jugendliches Ich, und darüber habe ich geschrieben und über das Unrecht, das ihm angetan wurde und das er selbst getan hat.“
„Und trotzdem brennen Liebe und Haß der Jugend so heftig, daß ihr Feuer uns auch noch in älteren Jahren versengen kann“, stellte er behutsam klar. „Wir sind nur selten so stark, daß wir sie selbst austreiben können. Das müssen andere für uns tun. Du bist nicht ganz ehrlich, Thu.“
„Und du auch nicht, Prinz“, gab ich zurück, denn seine Klarsichtigkeit war mir unbehaglich. „Du hast mir noch immer nicht den Grund gesagt, warum Huis Name aus dem Verfahren herausgehalten wurde. Du wirst doch wohl nicht glauben, daß ihn keine Schuld trifft.“
Ramses nahm noch einen Kennerschluck und beobachtete mich eingehend über den Rand seines Pokals. Er fuhr sich bewußt mit der Zunge über die Lippen und legte dazu die Stirn in Falten, als erfordere diese Bewegung höchste Aufmerksamkeit. Ein paar Mal machte er Anstalten zu sprechen, doch er biß sich jedes Mal auf die Zunge. Dann schien er sich schlüssig zu sein. Sein Blick wanderte zu der leuchtend roten Flüssigkeit in seinem Pokal, die er jetzt herumschwenkte.
„Mein Vater dachte, es wäre besser für dich, wenn du erst später davon erfährst“, sagte er ruhig, „aber ich sehe nicht ein, welchen Unterschied es macht, wenn du es schon jetzt hörst.“ Sein prüfender Blick verließ jäh den Pokal und richtete sich fest auf mich. „Der Seher ist tatsächlich angeklagt worden, Thu, und ist auch abgeurteilt worden. Das ist privat geschehen, vor meinem Vater persönlich.“
Fasziniert und wie betäubt sah ich zu, wie sein Mund Worte formte, die erst nach einem Weilchen Sinn ergaben. Und dann wurde mir kalt vor Schreck.
„Anklage? Was für eine Anklage?“ wollte ich wissen, doch meine Stimme war nur noch ein leises Krächzen. „Ramses, um Seths willen, was für ein Urteil? Und warum privat?“
„Weil mein Vater Hui aus unerfindlichen Gründen gesondert aburteilen wollte“, sagte Ramses. „Die Anklage war dieselbe wie bei den anderen. Ich habe nicht die Erlaubnis, dir das Urteil mitzuteilen, doch würdest du es kennen, du würdest es, glaube ich, billigen.“
„Und wie hat es gelautet?“ Mit einem Ruck blickte ich auf, und dabei fiel mir etwas beinahe Verstohlenes an ihm auf, so daß ich wider besseres Wissen herausplatzte: „Hui war bei der geheimen Gerichtsverhandlung zugegen, nicht wahr?“ Der Prinz blickte mich gelassen an.
„Ja“, sagte er knapp.
„Er ist also zum Tode verurteilt worden?“ fragte ich spöttisch. „Hat man ihn zuvor ausgepeitscht? Hat der Scharfrichter ihm den Kopf noch vor der öffentlichen Anhörung abgeschlagen? Oder hat ihn der Pharao für seine hervorragenden Dienste als Arzt und mächtiger Seher als freien Mann aus dem Palast gehen lassen? Ich will es wissen! Ich habe ein Recht darauf!“ Ramses drohte mir mit dem Finger.
„Sieh dich vor“, warnte er. „Du bist schon wieder nahe daran, eine Gotteslästerung zu begehen. Wie kommst du darauf, daß du ein Recht darauf hast, mehr zu wissen, als daß du für dein eigenes schändliches Verbrechen begnadigt worden bist? Der Pharao in seiner Weisheit hat ein vollkommen richtiges Urteil über Hui gefällt. Du wirst es zu gegebener Zeit erfahren. Habe Geduld.“
„Ich möchte den König sehen“, bedrängte ich ihn außer mir. „Ich möchte zu ihm und ihm das persönlich sagen!“ Der Prinz schüttelte den Kopf.
„Er will dich nicht wiedersehen“, sagte er. „Es geht ihm sehr schlecht, und er weiß, daß solch eine Begegnung ihm nur
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