Die Herrin Thu
noch Qualen bereiten würde. Er hat alles für dich getan, was in seiner Macht steht, er hat dir vergeben, damit sein Herz gut gewogen wird und weil er sich als alter Mann gern daran erinnert, wie sehr er dich geliebt hat. Du mußt an seine Klugheit glauben. Er ist ein guter Mensch.“
„Ich weiß.“ Ich atmete tief durch, denn Verwirrung und Kummer machten mir schwer zu schaffen. „Es tut mir leid, Prinz. Diese Wunde ist sehr tief.“
„Sie wird irgendwann heilen“, sagte Ramses spöttisch. „Und jetzt bitte keine weiteren Fragen mehr. Komm. Trink deinen Wein aus.“
Als ich gehorsam den Pokal hob, den ich noch immer in der Hand hielt, ergriff er meine andere Hand und legte sie sanft um die Rundung des Pokals und führte dessen Rand an meinen Mund. Und während ich mich fügte, vermittelten mir seine warmen Handflächen Frieden. Ich zog meine Hände fort, und er ließ mich los, nahm den Pokal und stellte ihn etwas zu heftig auf den Tisch zurück. Dann wandte er sich wieder an mich. „Noch etwas“, sagte er mit einem flüchtigen Lächeln. „Mein Vater bedauert, daß er deiner Bitte um einen Heiratsvertrag zwischen euch beiden vor vielen Jahren nicht nachgegeben hat. Er meint, wenn er das getan hätte, hätte er dir einen Mordversuch erspart, und dein Sohn hätte die Erziehung und Achtung eines rechtmäßigen Prinzen genossen. Du sollst aber wissen, daß ich dem alten Mann seine fehlgeleiteten Schuldgefühle ausgeredet habe. Er sieht die Vergangenheit nicht mehr so, wie sie war, sieht nicht mehr die völlige Skrupellosigkeit und Verzweiflung dieser Tage. Du wärst keine verläßliche Königin geworden. Ich sage dir das wegen unseres damaligen Handels, damit du nicht länger denkst, daß es mir völlig an Mitgefühl mangelt.“ Ich hörte ihn an und empfand zunehmend, wie vergeblich und traurig doch alles war. Früher hätte ich mein Ka für diese Ehre geopfert. Ich hatte den Pharao angefleht, mich zu heiraten und unseren Sohn zu legitimieren, doch er hatte sich geweigert. Ich hatte dem Prinzen eine ähnliche Abmachung abgerungen, und auch die war zunichte geworden, ebenso mein fiebriges und lüsternes Begehren, seinen Leib zu besitzen. Wenn der König mich geheiratet hätte, hätte ich vielleicht von Hui und seinen Machenschaften abgelassen, doch am Ende wären die Mauern, die es zu erklettern galt, noch höher geworden, ich hätte noch mehr
Macht an mich reißen müssen, und Ägypten wäre dabei nichts weiter als mein Spielplatz gewesen. Ich verdiente es nicht, Königin zu sein, ja, damals hätte ich überhaupt nicht begriffen, welche Verantwortung mit diesem Titel verbunden war. Und jetzt begehrte ich weder eine Krone noch die Umarmung des Prinzen.
„Ich finde, du wirst ein wunderbarer Starker Stier“, sagte ich ruhig. „Sei bedankt, daß du mir das erzählt hast. Du hast natürlich recht. Ich wäre des Titels niemals würdig gewesen, ganz zu schweigen von der hohen Stellung als Königin. Laß es nicht zu, daß sich der Pharao deswegen grämt, es ist eine der weisesten Entscheidungen, die er je getroffen hat.“ Er kam zu mir, hob mein Kinn und küßte mich sanft.
„So sorgen die Götter dafür, daß ihre undurchschaubaren Pläne erfüllt werden“, meinte er. „Ich wünsche dir alles Gute, Thu. Deine früheren Sünden werden mit dem Mann begraben, der sie herbeigeführt hat.“
„O nein“, sagte ich bekümmert. „Die hat Hui herbeigeführt, und wo ist er? Habe ich jetzt deine Erlaubnis, den Harem zu verlassen?“
„Ich möchte, daß du noch sechs Tage bleibst“, sagte er. „Dann bist du frei und kannst gehen, wohin du willst.“ Er hob die Hand, wehrte meinen Protest ab. Ich wollte nämlich nicht an dem Tag, an dem sich der letzte Gefangene das Leben nahm, in meiner Zelle sitzen. Dann wollte ich weit weg von Pi-Ramses sein, vielleicht auf dem Fluß in Richtung eines vielversprechenden Ziels, mit dem Wind im Haar und Sonnenlicht, das auf dem Wasser tanzte. „Das ist keine Bitte“, ermahnte er mich, „sondern ein Befehl. Es müssen noch letzte Vorkehrungen für dich getroffen werden. Hab Geduld, alle Rätsel werden sich zu gegebener Zeit lösen. Und wenn das geschieht, erinnerst du dich bitte an die Barmherzigkeit und Versöhnlichkeit des Gottes, dessen Tage in Ägypten gezählt sind. Geh jetzt in deine Zelle zurück. Du bist entlassen.“ Sofort verneigte ich mich und bewegte mich rückwärts zur Tür. „Ich denke nicht, daß ich dich noch einmal sehe, ehe du die Stadt verläßt“,
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