Die Herrin Thu
wo sie am wenigsten ausrichten können. Du hast in Nubien mit Klugheit und Umsicht gedient. Es gibt keine Beweise, daß du deine gedankenlose Drohung wahrgemacht und ägyptische Soldaten gegen ihre Vorgesetzten aufgehetzt hast, eine Drohung, die vermutlich deiner schrecklichen Enttäuschung entsprungen ist. Du hast von der Verschwörung gehört und nichts gesagt, und das spricht gegen dich. Doch das gleiche kann man auch von den Dienern der anderen Angeklagten sagen, und die habe ich wegen ihrer irregeleiteten Treue und ihres gewöhnlichen Blutes begnadigt. Darum spreche ich folgendes Urteil. Man nehme dir die Armbänder des Generals und degradiere dich zum niedrigsten Fußsoldaten. Dein weltlicher Titel ist auch null und nichtig. Du sollst unter dem jüngsten Offizier der Division dienen, der ich dich zuweise. Deine Besitztümer unterliegen der Aufsicht durch die Doppelkrone, bis du dich wieder zu dem hohen Rang hochgedient hast, den du früher hattest. So lautet mein Spruch.“ Banemus blickte ihn groß an.
„Prinz, diese Großmut verdiene ich nicht“, begehrte er auf. „Wenn du mich in deiner allmächtigen Gnade jedoch leben läßt, dann übe auch Gnade an meiner Schwester. Sie...“ Weiter kam er nicht.
„So lautet mein Spruch!“ schrie Ramses und trat zur Kante der Estrade. „Hunro stirbt! Ich bin der Falke-im-Nest, der Erbe meines Vaters, des Gottes! Meine Stimme ist die Stimme der Maat! Nehmt ihm die Armreifen! Und führt die Verurteilten fort. Mir wird übel bei ihrem Anblick.“ Er schritt zu seinem Stuhl zurück und ließ sich darauffallen.
Banemus gab seine Armreifen ab, und dann warf sich Hunro an seine Brust und kreischte Unverständliches. Er taumelte, umfaßte sie und versuchte, sie zu beruhigen, doch sie war von Sinnen. Ein Hauptmann bellte einen Befehl, und zwei Soldaten rissen sie von ihm los. Sie kämpfte wie eine Irre, als man sie durch den Saal schleifte.
„Ich habe noch nicht gelebt! Ich habe noch nicht gelebt!“ schrillte ihre Stimme. „Banemus, hilf mir!“ Er stand da und sah ihr mit hängenden Armen nach, aber Paiis, der mit einer eigenen Begleitmannschaft an ihm vorbeikam, berührte ihn, und da wandte er sich ab und entfernte sich schwankend. Der Herold sah uns an, als sich die Türen schlossen und sich die erstickende Atmosphäre im Saal langsam zu heben schien.
„Die Gerichtssitzung ist beendet“, rief er. „Erweist dem Prinzen eure Huldigung.“ Wer noch da war, kam mühsam hoch und verneigte sich mit ausgestreckten Armen. Die hintere Tür öffnete sich für Ramses, doch auf der Schwelle blieb er stehen und drehte sich um.
„Men, ich möchte dich auf der Stelle in meinen Gemächern sehen“, sagte er. „Und du, Herrin Thu, kannst deinen Sohn heute Abend nicht begleiten. Du gehst bitte in deine Zelle im Harem zurück und wartest dort, bis ich dich morgen holen lasse.“
Was soll das? dachte ich gottergeben. Ich hatte gehofft, mich mit Kamen davonstehlen zu können und Men um ein Zimmer in seinem Haus zu bitten, bis ich mir über meine Zukunft im klaren war. Ich wollte diesen Ort hinter mir lassen. Hunros Verzweiflung hatte mir ans Herz gegriffen, hatte mich lebhaft an den Tag erinnert, als die Richter in meine Zelle getreten waren und mir verkündet hatten, daß ich an Hunger und Durst sterben sollte. Auch ich hatte vorübergehend die Fassung verloren. Ich hatte geschrieen und geweint, während Diener meine Zelle vollkommen ausräumten. Sie hatten mir sogar den Kittel vom Leib gerissen. Ich war in die Grube hinabgestiegen, die jetzt vor Hunro gähnte, doch gerade, als der Tod die Hand nach mir ausstreckte, war ich gerettet worden. Für sie gab es solch ein Wunder nicht. Angesichts dieser Not erschien mir mein Haß schlimm und unwürdig, und als ich mein Herz erforschte, stellte ich fest, daß er verschwunden war.
Einer nach dem anderen traten wir aus dem Thronsaal in einen friedlichen, sternenfunkelnden Abend. Vor den Säulen des öffentlichen Eingangs zum Palast blieben wir stehen, und ich atmete die liebliche, kühle Luft in tiefen Zügen ein. Ich lebe, jubilierte ich insgeheim. Mein Fleisch ist warm. Meine Haut spürt die leichte Brise und den Schurz meines Sohnes an meinem Schenkel. Ich sehe die Schatten der Bäume auf dem feuchten Gras und wie sich die Sterne matt im Kanal spiegeln.
Und nach weiteren sieben Tagen werden mich diese Dinge noch immer erfreuen. Danke, Wepwawet.
Men wünschte uns gedämpft eine gute Nacht und verschwand in Richtung der
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