Die Herrin Thu
der früher zu den Räumen von Ramses’ Brüdern geführt hatte, und dann klopfte der Herold an eine innere Tür. Ich überlegte kurz, ob die darunterliegenden Räume noch bewohnt wären. Ein Diener öffnete uns. Der Herold trat ein, und ich hörte ihn meinen Titel und Namen sagen. Er winkte, und ich folgte ihm.
Der Prinz blickte hoch, als ich auf der Schwelle stehenblieb und mich mit ausgestreckten Armen verneigte. Er stand neben einem Tisch voller Rollen und unterhielt sich mit zwei Männern, denen er jetzt bedeutete, sich zu entfernen. Sie verbeugten sich im Vorbeigehen und begrüßten mich leise, ehe sie mit dem Herold durch die Tür schlüpften, die sich hinter ihnen schloß. Ramses und ich waren allein.
Ängstlich blickte ich mich um. Der Raum hatte sich nicht verändert. Er war noch immer spärlich möbliert, obwohl die Möbel selbst von erlesener Qualität waren, und er machte auch noch immer den Eindruck von etwas Vorübergehendem, so als stellte er nur die Bühne für ein rätselhaftes Spiel dar, während das wirkliche Leben des Prinzen anderswo gelebt wurde. Vermutlich war das jetzt auch so, denn der Pharao konnte sich nicht mehr um die Regierungsgeschäfte kümmern, und Ramses als sein Erbe nahm ihm viele drückende Verpflichtungen der Doppelkrone ab.
Er winkte mich näher und musterte mich von Kopf bis Fuß mit männlicher Kennermiene. Er selbst wirkte ausgeruht, seine Augen blickten klar. Dann ging er um den Tisch herum, lehnte sich an die Tischkante und verschränkte die mit Armbändern geschmückten Arme auf der breiten Brust. „Nun, Herrin Thu?“ sagte er herrisch. „Bist du endlich zufrieden?“
„Eine seltsame Frage, Prinz“, erwiderte ich. „Vielleicht. Obwohl die Folgen meiner Beharrlichkeit, die Wahrheit ans Licht zu bringen, entsetzlicher sind, als ich sie mir in meiner Phantasie ausgemalt habe.“ Er blickte erstaunt.
„Die Angeklagten waren Gotteslästerer, Verräter und Gottesmörder“, sagte er knapp. „Und du auch, doch ihr Verbrechen ist schlimmer. Ich staune, daß du Mitleid mit ihnen hast. Sie haben dich kaltblütig und bewußt benutzt, und das finde ich unendlich abscheulich.“
„Du hast auch versucht, mich zu benutzen“, stellte ich klar, denn meine verfluchte Neigung, mit dem ersten herauszuplatzen, was mir in den Sinn kam, ging wieder einmal mit mir durch. „Du hast mir eine Königinnenkrone versprochen, wenn ich deinem Vater immer wieder deine Tugenden vor Augen halten würde.“
„Ach ja.“ Er reagierte so rasch, daß ich wußte, er hatte diese Anschuldigung erwartet. „Aber ich war ehrlich, weil ich dabei nur Ägyptens Wohl im Auge hatte, während man dich getäuscht und obendrein zu einem üblen Zweck benutzt hat.“ Ich wollte ihm sagen, daß er sich in seiner Selbstgerechtigkeit ebenso irrte wie ich mich damals, doch dieses Mal biß ich mir auf die Zunge. Schließlich war er bald ein Gott.
„Du dürftest recht haben, Prinz“, sagte ich seufzend, „aber das liegt jetzt alles hinter uns. Darf ich dich etwas fragen?“ Er nickte kurz. „Warum wurde Hui nicht mit den übrigen verurteilt? Er ist in der Anklage überhaupt nicht erwähnt worden, und dennoch sind er und sein Bruder gleichermaßen schuldig. Selbst wenn er sich der Verhaftung entziehen konnte, er hätte abgeurteilt werden müssen. Das erscheint.“ Ich zögerte, wollte sagen, ich hätte immer noch ein wenig Angst, weil Hui durchaus dazu fähig sei, mich irgendwie zu strafen, falls er noch frei herumliefe, und ich erleichtert zugleich und erzürnt sei, weil er auf geheimnisvolle Weise durch die Maschen geschlüpft war, doch ich brachte nur noch lahm zustande: „Das erscheint mir ungerecht.“
Ramses blickte mich lange an, dann drehte er sich zum Tisch um, auf dem zwei goldene Pokale und ein Krug mit Wein standen. Behutsam hob er den Krug hoch und schenkte ein, dann hielt er mir einen Pokal hin, und seine Ringe klirrten an der goldenen Rundung. „Dann ist dein Rachefeldzug also noch nicht beendet“, sagte er. „Nicht einmal das Blut, das vergangene Nacht geflossen ist, das früher oder später am Ende der sechs Tage fließen wird, kann deinen Durst vollkommen stillen. Deine Wut war nicht gegen Paiis gerichtet, der versucht hat, dich und deinen Sohn zu ermorden. Nein. Sie war immer gegen den Seher gerichtet, nicht wahr, Thu? Der Mann, der dir die Unschuld geraubt und für dich die Welt bedeutet hat, während er dich zum Narren hielt. Vergiß nicht, daß ich deinen Bericht über diese Jahre
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