Die Herrin Thu
sagte er noch. „Aber falls dir der Herr Allen Lebens in Zukunft einen Gefallen tun kann, mußt du mir nur Nachricht schicken. Es hat eine Zeit gegeben, Thu, da habe auch ich dich so heiß begehrt wie du mich. Aber es war uns nicht beschieden, den Weg gemeinsam zu gehen, wir durften uns nur im Vorübergehen streifen. Mögen deine Füße festen Tritt finden.“ Ein Kloß stieg mir in den Hals.
„Langes Leben, Gesundheit und Wohlergehen, Horus“, sagte ich. Ich blickte ihn ein letztes Mal an. Er hatte sich auf einem Stuhl niedergelassen, lehnte sich zurück, hatte die Beine übereinandergeschlagen und die Hände auf dem Knie gefaltet. In der zunehmenden Dämmerung war es unmöglich, seine Miene auszumachen. Ich öffnete die Tür und ging.
Fünfzehntes Kapitel
In dieser Nacht tat ich kein Auge zu. Ich speiste spät und in Ruhe, und als ich gegessen und Isis meine Zelle aufgeräumt hatte, war der Hof bereits leer. Ich wollte mich nicht schlafen legen. Trotz des Weins, den ich mit dem Prinzen getrunken hatte, und trotz des zweimaligen Schrecks, einmal angenehm, einmal schmerzlich, war mein Körper nicht müde. Ich kam mir leer und friedlich und vollkommen gefühllos vor. Isis hatte mir das Haar gelöst und ausgekämmt, hatte mich gewaschen und mir dann ins Nachthemd geholfen. Sie löschte meine Lampe und wünschte mir eine gute Nacht. Dann ging sie. Ich wartete, bis das Geräusch ihrer Schritte verklungen war, ehe ich mein Zimmer verließ und hinaus auf das kühle Gras trat.
Es fühlte sich unter meinen zarten Fußsohlen weich und nachgiebig an, und wie immer genoß ich dieses Gefühl. Auch die Luft war lau und weich, so wie sie es bei Tage nie sein kann, und ich spürte sie dankbar beim Gehen, spürte, wie sich das Nachthemd an meinen Körper schmiegte und sich das Leinen hinter mir bauschte. Dann setzte ich mich an den Springbrunnen, den Rücken an das Becken gelehnt, durch das ich das beruhigende Trommeln des Wassers spüren konnte. Ab und an erfaßte mich ein Sprühnebel. Ich merkte, daß sich Tropfen in mein Haar und auf die feinen Härchen meiner Arme setzten, doch es war mir einerlei.
Der Hof träumte im Dunkeln vor sich hin, der Mond hoch oben war nur halb zu sehen, die Sterne rings um ihn leuchteten schwach, doch in größerer Entfernung davon heller. Die meisten Zellentüren waren geschlossen. Ein, zwei standen noch offen, und die Lampen drinnen warfen einen matten, dunkelgoldenen Schein, der flackernd den Steinweg erhellte, ehe er sich in der tiefen Dunkelheit des Rasens verlor.
Ich zog die Knie an und überließ mich ganz der sonderbaren Stimmung, die mich erfaßt hatte. Dennoch war ich wachsam, reagierte auf jeden Hauch, der meine Haut streifte, auf jedes geheime Rascheln im Gras, und mir war, als hätten sich meine Sinne geschärft, nachdem mich alle Gefühle verlassen hatten. Auch mein Hirn wurde von diesem eigentümlichen Zustand erfaßt. Weder Gedankenfetzen noch ein vages, wirbelndes Chaos von Bildern spukten darin herum. Es war geputzt und sauber wie ein Gefäß, das darauf wartete, wieder mit Gesundem gefüllt zu werden.
Als erster hatte Hui Besitz von meinem Hirn ergriffen, und nach dem Zorn und dem Schreck, die mich bei der Enthüllung der geheimen Anhörung, die man ihm zugestanden hatte, gepackt hatten, ging mir endlich auf, daß ich gar nicht überrascht gewesen war. Die Nachricht hatte etwas Vertrautes gehabt, so als ob mein Ka von dem Mann, der schon immer geheimnisvoll und unberechenbar gewesen war, nichts anderes erwartet hatte.
Irgendwie hatte Hui es geschafft, beim Pharao vorgelassen zu werden. Und nicht nur das, sondern er hatte den König auch dazu bewogen, ihn heimlich abzuurteilen. Keine Richter, nur der Gott selbst, der ihn anhörte und das Urteil sprach. Wie hatte er das erreicht? Hatte er die Gefahr im Weissageöl gesehen und war in den Palast geschlüpft, ehe der Befehl zum Hausarrest erteilt wurde, hatte alles darauf gesetzt, daß er das Beweismaterial leugnen und den Pharao beeinflussen könne? Schließlich war er über lange Jahre Leibarzt des Königs gewesen. Eine derartige Beziehung bewirkt beim einen Vertrauen und beim anderen Autorität. Und dennoch hatte mir der Prinz versichert, daß ich das ihm auferlegte Urteil billigen würde, falls ich es kannte.
Nein, nicht falls. Wenn. Was bedeutete das? Denn tief im Innersten wußte ich, daß Hui noch irgendwo am Leben war. Und warum behielt man mich hier, bis die Zeit der anderen Straftäter abgelaufen war? Was um
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