Die Herrin Thu
alles in der Welt mußte geordnet werden, was mit meiner Zukunft zu tun hatte? Der König selbst hatte mich, großzügig wie er war, abgesichert. Und was hatte der Prinz von Men gewollt? Hatte es etwas mit Kamen zu tun? Die einzigen Antworten auf diese Fragen waren Vermutungen, und am Ende ließ ich davon ab. Ich wußte nur, daß Hui lebte. War ich darüber froh oder traurig? Weder noch. In bezug auf Hui konnte es bei mir nur gemischte Gefühle geben. Ich hörte auf zu grübeln und überließ mich der Schönheit der Nacht. Und als der Morgen grau heraufdämmerte und die Sterne auslöschte, hockte ich noch immer am Springbrunnen.
Die folgenden drei Tage verliefen ereignislos, und ich verbrachte sie in Gedanken an den Pharao, denn unter den anderen Frauen liefen Gerüchte über seinen sich verschlechternden Zustand um, und die Stimmung im Harem war gedrückt. Damit wollte ich ihn ehren, diesen Mann, der mein Leben für kurze Zeit an seins gebunden hatte und dessen Schatten sich trotz allem über jeden Augenblick der vergangenen siebzehn Jahre gelegt hatte, der mich jedoch nicht mehr sehen wollte. Meine einzige Huldigung mußte stumm bleiben, fand nur in meinem Inneren statt. Und so holte ich mir sein Bild vor mein geistiges Auge, seine Stimme, sein Lachen, wie sich seine Hände auf meinem Leib angefühlt hatten, die steinerne Kälte seiner seltenen Wutausbrüche, und jede Nacht zündete ich vor meinem Schutzgott Weihrauch an und betete darum, daß die anderen Götter ihm den Heimgang erleichterten und ihn freudig in der Himmelsbarke begrüßten.
Doch viele Frauen sprachen weniger über ihren sterbenden Gebieter als über ihr eigenes Schicksal, wenn der neue König die Liste des Frauenhauses überprüfen und Nebenfrauen, die er nicht haben wollte, aus dem Harem entfernen würde. Einige von ihnen würden die Freiheit erhalten. Die Jüngeren würden wahrscheinlich bleiben müssen. Doch die Älteren, die Alternden, die Kranken würden nach Fayum geschickt werden. Den Harem dort hatte ich einst mit dem
König besucht und ein Schicksal gesehen, das eines Tages auch meines hätte werden können. Es war ein stiller Ort, doch sein Frieden war die Leere des bevorstehenden Todes, seine Zellen beherbergten die vertrockneten Hüllen der Frauen, die früher die Blüte Ägyptens gewesen waren, und ich war so entsetzt gewesen, daß ich später Sobek nicht angemessen opfern konnte, der in der Oase einen Tempel hatte. Dieses furchtbare Schicksal drohte mir jetzt nicht mehr, und ich bedauerte die Frauen ringsum, denen solch eine Verbannung, wie gütig auch immer, gewiß war.
Am vierten Tag kam ein Herold mit einer Rolle, baute sich mitten im Hof auf und verkündete, daß die Missetäter Mersura, Panauk und Pentu das ihnen auferlegte Urteil vollstreckt hätten. Paiis und Hunro wurden nicht erwähnt. Ich empfand gar nichts, während die Worte von Zelle zu Zelle hallten, aber mir war zumute, als fielen mir Steine von der Seele, von denen ich gar nichts gewußt hatte, und nachdem sich der Mann entfernt hatte, um die Neuigkeit im nächsten Hof zu verkünden, ging ich zum Teich gleich vor dem Harem, zog mich aus, ließ mich ins Wasser gleiten und schwamm auf und ab, bis meine Gliedmaßen vor Anstrengung zitterten.
Danach lag ich im Gras und ließ mich von der Sonne trocknen, spürte, wie ihre Hitze durch die Wassertropfen auf meinem Leib brannte, während ihr Schein selbst bei geschlossenen Lidern beinahe unerträglich war. Die Luft versengte mir die Lungen. Leben, Leben. Welch ein Glück, am Leben zu sein! Als ich es nicht länger aushielt, rollte ich mich in den Schatten des nächsten Baums und räkelte mich nackt und ekstatisch und ohne Rücksicht auf Zuschauer.
Am fünften Tag betrat wieder ein Herold den Hof, doch dieses Mal mit einer Botschaft für mich. Ich saß gleich vor meiner Tür und genoß einen Becher Bier, nachdem ich mich gerade hatte schminken und ankleiden lassen. Er blieb stehen, verbeugte sich und blickte sich um, ob ihn auch niemand hörte. „Herrin Thu“, sagte er leise. „Der Prinz hat eine Bitte von der Gefangenen Hunro erhalten. Sie möchte dich sehen. Wie du weißt, werden Leuten von Adel, die dazu verurteilt wurden, sich das Leben zu nehmen, alle Wünsche im Rahmen des Vernünftigen erfüllt, sei es nun erlesener Wein oder Leckereien oder letzte Besuche von ihren Lieben. Der Prinz befiehlt dir nicht, Hunros Wunsch zu erfüllen. Er teilt ihn dir lediglich mit. Er gestattet dir, zu tun, was dir beliebt. Wenn
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