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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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du möchtest, kannst du ihr den Wunsch abschlagen.“
    „Aber was will sie überhaupt von mir?“ fragte ich ratlos und voll unguter Gefühle. „Wir sind uns spinnefeind. Ich kann sie nicht trösten. Ist ihr Bruder nicht bei ihr?“
    „Der besucht sie jeden Abend und bleibt bis zum Morgengrauen. Hunro kann nicht schlafen. Sie kann. gar nichts tun.“
    „O nein“, sagte ich leise und fröstelte in der Brise, die noch vor einem Augenblick so angenehm gewesen war. „Nein. Das kann ich nicht! Will ich nicht! Wie kann sie es wagen? Glaubt sie immer noch, daß ich nichts als die Mörderin bin, zu der sie mich gemacht haben? Sieht sie noch immer so auf mich herab?“ Das schmerzte, und am liebsten hätte ich geweint. Nie würde ich diese Schuld loswerden, niemals. Vielleicht konnte ich ein Weilchen vergessen, vielleicht glauben, ich wäre wieder heil und ganz, doch das Mal blieb mir erhalten wie ein unsichtbares Brandmal. Mörderin.
    Der Herold wartete, ohne sich dazu zu äußern, während ich das Gesicht in den Händen barg und versuchte, mich zu fassen. Als ich mich wieder im Griff hatte, sprach ich, ohne ihn anzusehen. „Richte dem Prinzen aus, daß ich Hunro aufsuchen werde“, sagte ich, und meine Stimme zitterte. „Richte ihm aus, er soll mir heute Nachmittag eine Eskorte schicken.“ Schließlich, so dachte ich bitter, während ich hinter ihm hersah, ist es das, was Mörderinnen tun. Sie morden. Hunro hat Glück, daß sie eine so kundige Mörderin zur Hand hat. Ich rieb mir die Gänsehaut an den kalten Armen. Oh, ihr Götter, betete ich, bewahrt mich davor, daß ich Hunro nicht auch noch mit häßlichen Worten geißele, ihre Not muß bereits unbeschreiblich sein.
    Eine Stunde nach Mittag kam ein Soldat, und dann gingen wir zusammen durch die Palastgärten und gelangten an den Dienstbotenquartieren vorbei zu dem riesigen Exerzierplatz. Isis hielt mir den Sonnenschirm über den Kopf, dessen Schatten in der prallen Mittagssonne als kleines Rund um meine Füße fiel. Auf der gegenüberliegenden Seite schimmerten die Kasernen mit den angrenzenden Ställen säuberlich aufgereiht im Sonnenglast. Ich konnte ein paar Soldaten ausmachen, die sich im Schatten der Gebäude aufhielten, doch sonst sah man nirgendwo Leben. Es war die Zeit der Mittagsruhe, und die aufgewühlte Erde des Platzes lag heiß und menschenleer.
    Die Gefängniszellen grenzten hinten an die Dienstbotenunterkünfte. Ich erinnerte mich noch gut an sie. Gegen meinen Willen wurden meine Augen zu der gezogen, die ich gehabt hatte und die jetzt Paiis bewohnte. Zwei Wachtposten flankierten ihre Tür, aber hinter dem Gitter war keine Bewegung auszumachen. Mein Begleiter führte mich zur Zelle nebenan, und auf sein Nicken hin machte sich einer der wachhabenden Soldaten daran, den dicken Knoten zu lösen, der die Tür verschlossen hielt. Ich wartete, und auf einmal überfiel mich die Furcht, Paiis könnte diesen Augenblick wählen und sich in sein Schwert stürzen oder sich die Kehle durchschneiden, so daß ich das Geräusch und Geschrei seines Todeskampfes mitbekam. Doch der Knoten wurde gelöst und die Tür aufgemacht, ohne daß etwas geschah. Ich drehte mich zu Isis um. „Warte da drüben auf mich, im Schatten des Baumes dort“, sagte ich. „Steh nicht hier draußen in der Sonne herum.“ Dann folgte ich dem Soldaten nach drinnen.
    Und schon schlug mir der Geruch entgegen, ein Gestank aus Urin, Schweiß und Todesangst, der so stark war, daß der Soldat einen entsetzlichen Augenblick lang zum Gefängniswärter wurde und ich zur jungen Nebenfrau, die zum Tode verurteilt war. Knarrend fiel die Tür hinter uns zu. Ich mußte mich nicht umsehen. Es gab nicht viel zu sehen. Ein bezogenes Lager, an dessen Fuß eine geöffnete Kleidertruhe voller Kleider stand, ein Tisch mit einer Lampe und mehreren recht hübschen Kosmetiktiegeln und Krügen, eine Binsenmatte auf dem Lehmfußboden, an deren Rand mehrere Paare Sandalen aufgereiht standen. In diesem stinkenden, hoffnungslosen Vorraum zur Ewigkeit wirkte Hunros Habe protzig und leichtfertig. Ich nahm meinen ganzen Mut zusammen und hielt nach ihr Ausschau.
    Sie kauerte in der Ecke, hinter dem Tisch, und als sie mich erblickte, stieß sie einen Schrei aus und stürzte sich auf mich, packte mich mit beiden Händen und brabbelte unzusammenhängendes Zeug. Sie war barfuß und trug ein verdrecktes Kleid, das einmal weiß gewesen war. Ihr Haar war ungewaschen und ungekämmt und fiel ihr in Zotteln auf den Rücken. Unter

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