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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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nennen?“ schrie ich aufgebracht und verzweifelt. „Welchen Unterschied macht es schon, da sie ja doch tot ist?“ Er blieb stehen, drehte sich halb um und sprach über die Schulter, so daß der Sternenschein auf seinen silbernen Kopf und die Hälfte der Maske fiel.
    „Du bist ein tapferer und sehr dummer junger Mann“, sagte er verächtlich. „Welchen Unterschied? Wenn ich dir ihren Namen nenne, wird dich die Neugier nur noch schlimmer umtreiben, und tot oder lebendig, du wirst ihre Geschichte kennen, ihre Verwandten auffinden wollen und dich selbst bei dem Versuch, ihre Persönlichkeit heraufzubeschwören, in den Wahnsinn treiben, dich fragen, welche deiner Züge deine und welche von ihr sind. Willst du dich noch mehr grämen, Kamen? Deine Familie beunruhigen? Ich glaube nicht.“
    „Doch!“ schrie ich. „Ich muß es wissen! Falls das Geschenk, das ich dir mitgebracht habe, dich verpflichtet, mir alles zu enthüllen, was du gesehen hast, dann nimm es, nimm es, aber bitte, Seher, nenne mir ihren Namen!“ Er streckte die behandschuhte Hand aus, eine herrische Warnung.
    „Nein“, sagte er fest. „Dieses Wissen würde dir nichts als Kummer bereiten. Vertraue mir in dieser Sache. Sei dankbar für das Leben, das sie dir geschenkt hat, und geh deinen eigenen Weg. Grüble nicht mehr über ihren nach. Die Unterredung ist beendet.“ Damit war er fort, verschmolz mit den Schatten und ließ mich wutbebend und enttäuscht stehen.
    Ich weiß nicht mehr, wie ich nach Haus gekommen bin. Es fiel mir nicht ein, an der Vision oder den Worten des Sehers zu zweifeln. Er genoß seit langem einen ausgezeichneten Ruf. Doch seine Überheblichkeit erboste mich, seine hochfahrenden Worte hallten im Takt meiner Füße nach, bis ich erschöpft und verzweifelt vor der Tür meines Zimmers wieder zu mir kam. Vermutlich hätte ich mich überglücklich preisen sollen, daß er sie erkannt, sie gekannt hatte, doch was nutzte mir dieses Wissen, wenn er mir die für mich nützlichste Einzelheit nicht mitteilte? Was war jetzt zu tun?
    Ich stürzte in mein Zimmer, wo Setau eine Lampe hatte brennen lassen, schloß die Tür hinter mir, stand da und starrte die Dinge an, die mir nicht mehr vertraut waren. Alles hatte sich verändert. Vor ein paar Stunden war das noch mein Lager, das da mein Tisch, das meine Truhe gewesen, deren Deckel ich nicht ganz geschlossen hatte, als ich den Dolch herausholte. Jetzt schienen sie einem anderen Menschen zu gehören, einem Kamen, den es nicht mehr gab.
    Ich begann auf- und abzugehen, denn ich war zu überreizt, um mein Lager aufzusuchen. Gern wäre ich in das Schlafzimmer meines Vaters gestürzt, hätte ihn aufgeweckt, ihm meine Neuigkeiten ins schlaftrunkene Ohr geschrieen, doch was war, wenn ich seinem Gesicht das gerade erworbene Wissen ablas? Was war, wenn er bereits von ihr wußte? Ich wollte keine Bestätigung, daß er mich getäuscht hatte. Das alles konnte er mir später auch noch erklären. Außerdem brach er am nächsten Morgen auf, und ich wollte ihn noch ein wenig länger in hohem Ansehen halten. Sehr wahrscheinlich wußte er auch, wer mein Vater war. Er sei von Adel gewesen, hatte der Seher gesagt. Nesiamun müsse sich nicht schämen, daß er mich als Ehemann für seine Tochter bekam.
    War der, der mir das Leben geschenkt hatte, ein Freund meines Adoptivvaters gewesen? Ich ging die Männer durch, mit denen er geschäftlich zu tun hatte, solche wie den Seher, der bei ihm kaufte, solche, die Geld in seine Karawanen steckten, solche, die er nach Hause zum Essen einlud. Alle behandelten mich mehr oder weniger gleichgültig-höflich. War einer von ihnen herzlicher in seiner Unterhaltung als der Rest?
    Hatte sich einer von ihnen mehr Mühe als die anderen gegeben, mich nach meinem Ergehen zu befragen? Was war mit General Paiis? Er war ein berüchtigter Frauenheld und hatte während seiner zweiten Laufbahn gewißlich mehr als nur einen Bankert gezeugt. Gern wäre ich sein Sohn gewesen. Doch er und mein Vater verkehrten nicht in denselben Kreisen, obwohl mein Vater seinen Einfluß geltend gemacht hatte, um mir eine Stellung in Paiis’ Haushalt zu verschaffen. Hatte er mehr als nur Einfluß geltend gemacht? Ihn vielleicht ein wenig erpreßt? Bei dem Gedanken lachte ich schallend, blieb an meinem Fenster stehen und drohte mir im Geist mit dem Finger ob meiner Torheit. Solche Mutmaßungen führten zu nichts, außer ins Land der Phantasie.
    Und was war mit meiner Mutter? Sollte ich zum Seher zurückgehen

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