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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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hatte nirgendwo angedeutet, daß ihr der Seher den bereits verschnürten Kasten gegeben hätte oder daß sie ihn, sagen wir, am Flußufer gefunden hätte, nachdem Edelleute aus Pi-Ramses in Aswat haltgemacht hatten. Sie hatte immer wieder beteuert, daß ihre Geschichte in dem Kasten läge, eine Geschichte von Gift und Verbannung, deretwegen sie um Begnadigung bat.
    Wie kam es dann, daß beide, sie und der Seher, nicht zu unterscheidende Knoten knüpfen konnten? Es gab nur eine Erklärung: Die Frau war also doch bei Trost. Und bei diesem Gedanken hatte ich das Gefühl, daß sich etwas, was sich seit unserer Begegnung in meinem Inneren verkrampft hatte, entspannte und löste. Sie war bei Trost. Sie sagte die Wahrheit, und es war eine verzweifelte, bittere Wahrheit. Sie hatte gesagt, daß sie einst eine Heilkundige gewesen wäre, doch wo? Das hatte sie mir nicht gesagt. Aber war der Seher nicht auch heilkundig? War es möglich, daß sie früher, vor langer, langer Zeit, hier in Pi-Ramses den gleichen Beruf ausgeübt hatte? Vielleicht hatte sie sein Haus aufgesucht, um Konsultationen durchzuführen, und dabei beobachtet, wie er die schlauen Knoten knüpfte, mit denen er die Tür verschloß, die ich in seinem Arbeitszimmer gesehen hatte? Falls es sich so verhielt, war es gleichermaßen möglich, daß sie meine Mutter gekannt hatte. Irgendwie mußte ich nach Aswat zurück, mußte mit ihr reden, ihr meine Geschichte erzählen, so wie ich mir ihre angehört hatte, und sie nach meiner Mutter ausfragen. Aber woher eine Ausrede nehmen, damit ich den General so lange verlassen konnte, wie ich für Hinfahrt und Rückkehr brauchte? Ich wußte es nicht. Doch ich gelobte, einen Weg zu finden, selbst wenn das bedeutete, meine Stellung aufzukündigen.
    Ich konnte nicht mehr einschlafen. Mit angezogenen Knien hockte ich auf meinem Lager, hatte meinen Körper zwar im Griff, doch in meinem Kopf tobten bis zum Einsetzen der Morgendämmerung Vermutungen und Mutmaßungen. Unten auf dem Hof setzte hektisches Leben und Treiben ein. Ich stand auf, ging zum Fenster, trat aufs Dach und zur Brüstung. Gleich hinter den Speicherkrügen mit dem Korn flammten Fackeln, und in ihrem zuckenden Schein rannten Diener hin und her, beluden Pferde, die am Tor standen, während die Hunde, welche die Karawanen begleiteten, das Ungeziefer der Wüste töteten und vor Gefahr warnten, aufgeregt bellend umhersprangen. Ich erblickte Kaha mit seiner Palette und einen ziemlich zerzausten Pa-Bast, die sich wegen eines Stapels Säcke berieten, und dann erschien mein Vater in Umhang und Stiefeln, und ich zog mich zurück. Ich wollte nicht, daß er mich erblickte, mich bat, das Haus während seiner Abwesenheit gut zu hüten, und mich strahlend anlächelte. Zwischen uns stand jetzt etwas, und ehe ich das nicht erforscht und verstanden hatte, konnte ich ihm nicht offen in die Augen sehen.
    Endlich brach die kaum zu bändigende Kavalkade auf, zog durch das Tor, auf den Wirtschaftshof und dann durch den Dienstboteneingang. Der Lärm von Geplauder und stampfenden Hufen erstarb und hinterließ zerwühlte Erde, durch die sich Pa-Bast und Kaha einen Weg bahnten und dann unter mir das Haus betraten. Der Himmel im Osten wurde hell.
    Setau kam ins Zimmer, begrüßte mich, stellte ein frühes Morgenmahl auf den Tisch und sortierte wortlos den Haufen Wäsche und Geschmeide, den ich am vergangenen Abend einfach zu Boden geworfen hatte. Ich zwang mich, das frische, warme Brot, den braunen Ziegenkäse und die süßen, runzligen Äpfel zu essen, und die ganze Zeit überlegte ich, was ich meinem General heute erzählen könnte. Ich mußte nach Aswat und wieder daheim sein, ehe mein Vater aus
    Theben zurückkehrte. Bestenfalls war er drei Wochen fort. Aswat war näher gelegen als Theben, und gewißlich brauchte ich mit der Frau nicht mehr als einen Tag, doch wahrscheinlich würde mich der General nicht sofort freigeben, falls er mir überhaupt Urlaub gewährte. Was sollte ich tun, wenn er mir die Bitte rundheraus abschlug? Wenn ich nicht gehorchte, würde mir das als Fahnenflucht ausgelegt werden, und darauf stand natürlich der Tod. Mit welchem Argument konnte ich ihn herumbekommen? Ich hatte noch immer keine klare Vorstellung, was ich sagen sollte. Aber ich war fest entschlossen, obwohl ich Angst hatte.
    Ich hätte mir jedoch keine Sorgen machen müssen, denn als ich knapp eine Stunde auf meinem Posten vor der Tür des Generals gestanden hatte, trat sein Haushofmeister zu mir.

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