Die Herrin Thu
„Offizier Kamen“, sagte er, „du sollst mitkommen. Der General ist in seinem Arbeitszimmer.“ Verdutzt folgte ich ihm ins Haus und ging weiter, nachdem er verschwunden war, bis zu der vertrauten Tür aus Zedernholz. Ich klopfte an und wurde hereingebeten.
Paiis saß an seinem Schreibtisch. Ein Tablett mit den Resten eines nur halb gegessenen Morgenmahls stand auf dem Boden, und er selbst war auch nur halb bekleidet. Er hatte sich einen kurzen Schurz um die Mitte gebunden, und seine Füße waren nackt. Der Raum duftete stark nach dem Lotosöl, das auf seiner breiten Brust glänzte und noch nicht aus seinem ungekämmten Haar gewaschen war. Er warf mir unter geschwollenen Lidern einen Blick zu.
„Ach, Kamen“, sagte er brüsk. „Stelle deine Dienstliste anders zusammen, so daß für einige Zeit Ersatz für dich da ist. In vier Tagen triffst du dich an meiner Bootstreppe mit einem meiner Söldner und begleitest ihn nach Aswat, wo er die Irre verhaften wird. Du bist mir für ihre Sicherheit und ihr Wohlergehen verantwortlich, bis er sie hier im Gefängnis abgeliefert hat. Deine Untergebenen sollen ein Boot deiner Wahl mit Vorräten versehen, aber nur eins mit einer Kabine, die statt Vorhängen richtige Wände hat. Du wirst zur Nacht in keinem Dorf anlegen und wirst mit niemandem über diesen Auftrag reden. Sobald du zurück bist, meldest du dich persönlich bei mir. Das ist alles.“
Ich starrte ihn wie betäubt an. Seine Worte kamen so völlig überraschend, daß ich meine Gedanken einen Augenblick lang nicht beisammen hatte. Dann platzte ich heraus: „Aber warum, General?“
„Warum?“ Seine schwarzen Brauen hoben sich ruckartig. „Weil ich dir den Befehl dazu erteile, darum.“
„Ja.“ Ich geriet ins Schwimmen. „So lautet mein Befehl, ich werde gehorchen, aber darf ich fragen, warum sie verhaftet werden muß?“
„Ganz und gar nicht“, antwortete er schroff. „Wenn jeder Soldat seinen Befehl hinterfragen würde, Ägypten stürzte binnen einer Woche ins Chaos. Willst du dich etwa weigern?“ Ich wußte, wenn ich das tat, bekam mein Vorgesetzter in der Militärschule ein schlechtes Zeugnis über mich, ein Hindernis für meine Laufbahn, und zudem schien mich das Schicksal ausgerechnet an den Ort zu schicken, wohin ich so verzweifelt strebte. Dennoch ergab das Ganze überhaupt keinen Sinn. Warum einen Soldaten aus dem Delta und einen teuren Söldner den ganzen Weg nach Aswat schicken, wenn eine Botschaft an den Gouverneur der Provinz, in der die Frau lebte, gewißlich reichte? Gab es in der Nähe von Aswat keine Gefängnisse? Und warum, um Amuns willen, wurde sie überhaupt verhaftet? Ich bewegte mich auf gefährlichem Terrain, als ich nicht salutierte und auf den Fersen kehrtmachte, sondern nachhakte.
„Nein, General“, sagte ich. „Mir ist durchaus klar, daß eine Weigerung eine schlechte Beurteilung bei meinem unmittelbaren Vorgesetzten zur Folge hätte. Aber zwei Männer aus Pi-Ramses mit solch einem Routineauftrag zu betrauen, erscheint mir unnötig.“
„Ach wirklich, du aufsässiger junger Offizier?“ sagte er, und ein frostiges Lächeln huschte über sein Gesicht. „Vielleicht sollte ich mich darüber freuen, daß du dich so wegen der Verschwendung von Staatsgeldern und Zeit sorgst. Ich mag dich, Kamen, aber als Soldat fehlt es dir zuweilen an der richtigen Einstellung denen gegenüber, die mehr Verantwortung tragen als du. Das hier ist keine Strategiesitzung, noch ist deine Meinung gefragt. Tu, was man dir sagt.“
Dabei hätte ich es belassen sollen. Schließlich war ich vollkommen bei Trost im Gegensatz zu der Frau, die ich verhaften sollte, jedenfalls nach Meinung aller, wenn auch nicht nach meiner. Es war der helle Wahnsinn, den General zu bedrängen, doch ich konnte nicht anders. Je länger ich darüber nachdachte, desto hirnrissiger erschien mir die ganze Sache. „Mit Verlaub, General Paiis“, bohrte ich weiter. „Erlaube mir zwei Bemerkungen.“
„Dann beeil dich!“ fuhr er mich an. „Ich habe heute morgen noch nicht einmal gebadet.“ Und warum war ich dann so schnell zu ihm bestellt worden? Ich wunderte mich, äußerte das aber nicht laut. Statt dessen fuhr ich fort:
„Erstens ist die Frau aus Aswat harmlos. Sie ist eine Landplage, weiter nichts. Hat sie kürzlich ein Verbrechen begangen? Zweitens, warum ich?“
„Das ist keine Bemerkung, sondern eine Frage, du junger Dummkopf“, sagte er matt. „Und die Antwort, eine Antwort, zu der ich wirklich nicht
Weitere Kostenlose Bücher