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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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herabgezogenen Kapuze war nichts als Dunkel. Es gab kein Gesicht, mit dem ich hätte reden können. Ich hob die Schultern.
    „Ich weiß auch nicht. Es hat mich einfach ganz stark dazu gedrängt. Ich habe immer gedacht, weil mein wahrer Vater Offizier des Pharaos war.“ Die Kapuze bewegte sich hin und her.
    „Nicht dein Vater.“ Die erstickte Stimme klang tonlos. „Dein Großvater.“
    Mir wurde heiß. Ich beugte mich vor, ergriff den Arm des Sehers und rang nach Atem. „Du weißt, wer ich bin!“ schrie ich. „Du weißt es! Sag mir, was du gesehen hast!“
    „Dein Großvater war ein Fremdling, ein libyscher Söldner, der vor vierzig Jahren, nach Beendigung der frühen Kriege des Pharaos, die ägyptische Staatsbürgerschaft angenommen hat“, sagte er, ohne meinen Klammergriff abzuschütteln. „Er war kein Offizier. Seine Tochter, deine leibliche Mutter, war aus dem niederen Volk. Sie war ein wunderschönes Geschöpf, aber ehrgeizig. Sie hat es zu Reichtum und hoher Gunst gebracht.“
    „Das hast du im Öl gesehen? Das alles?“ Ohne es zu bemerken, zerrte ich an seinem Arm, und er riß sich los. Da kam ich zu mir und setzte mich wieder hin. Ich zitterte am ganzen Leib.
    „Nein“, erwiderte er knapp. „Im Öl habe ich deinen Traum gesehen, doch der ließ sich aufrollen wie ein Papyrus. Du hast als Säugling auf dem Rasen vor dem Palast gelegen, wo du mit deiner Mutter gelebt hast. Sie ist zu dir gekommen, hat sich auf den Rand der Decke gekniet, auf die sie dich gelegt hatte. Sie hat gelächelt. In ihrer mit Henna bemalten Hand hat sie eine Lotosblüte gehalten. Rings um sie lagen noch mehr Blüten. Sie hat dich mit den Blütenblättern an der Nase gekitzelt, und du hast gelacht und versucht, danach zu greifen. Ich habe ihr Gesicht erkannt, dieses makellose Oval, diesen weichen, geschwungenen Mund. Ich habe sie einst, vor langer Zeit, gekannt.“
    „Wo? Hier in Pi-Ramses? Wo haben wir gewohnt? Was ist mit meinem Vater? Wie hat sie geheißen? Ist sie wirklich tot?“
    Er hob den Arm, und auf einmal fiel zu meinem Entsetzen die Kapuze zurück. Seine Züge waren noch immer vollständig unter der eng anliegenden Maske mit den winzigen Augenschlitzen und ohne Mundöffnung verborgen, doch das Haar fiel ihm über die Schultern, und das war reinweiß, so weiß, daß es von innen her zu leuchten schien. Selbst in der Dämmerung konnte ich erkennen, daß es vollkommen farblos war. Und was ist mit dem Rest? fragte ich mich, und der Atem stockte mir. Ist das seine Entstellung? Daß seine Haut vollkommen ohne Farbe ist? Was ist mit seinem Blut? „Sie hat in großem Luxus gelebt“, sagte er mit belegter Stimme, „hier in Pi-Ramses. Den Namen deines Vaters kann ich dir nicht sagen, aber sei versichert, daß sich Takhuru wegen deiner Abstammung keine Sorgen zu machen braucht. Sie ist sehr edel. Deine Mutter ist tatsächlich tot. Tut mir leid.“
    „Dann war mein Vater von Adel? Bin ich ein uneheliches Kind?“ Das würde vieles erklären, dachte ich aufgeregt. Falls mein wahrer Vater von Adel war, dann hätte mein Adoptivvater natürlich nicht gezögert, mich aufzunehmen, und Nesiamun hätte keinerlei Bedenken, mich mit seiner Tochter zu vermählen. Vielleicht kannte mein Vater den Mann wirklich, dessen Samen mir das Leben geschenkt hatte. Das würde sein Widerstreben erklären, mir alles zu sagen.
    „Dein leiblicher Vater ist tatsächlich von Adel“, bestätigte der Seher, „und, ja, du bist ein Bankert. Ich habe deiner Mutter bei deiner Geburt beigestanden, sie ist ein paar Tage später gestorben.“ Erschöpft fuhr er sich mit der Hand durch das abartige Haar und stand auf. „Ich habe dir genug gesagt. Damit mußt du dich zufrieden geben.“ Ich stand auch auf und ging zu ihm, vertrat ihm den Weg und näherte mein Gesicht der dichten Maske.
    „Ihren Namen, Seher! Ich muß ihren Namen wissen! Ich muß ihr Grab finden, Gaben bringen und beten, damit sie mich nicht weiter im Schlaf verfolgt!“ Er wich und wankte nicht. Statt dessen trat er näher, und obwohl ich fast außer mir war, hätte ich schwören können, daß in den Augenschlitzen rote Augen funkelten.
    „Ihren Namen darf ich dir nicht nennen“, sagte er fest. „Er würde dir nichts nutzen. Sie ist tot. Und ich verspreche dir, daß sie deine Träume nicht mehr stört, jetzt, wo du so viel von der Wahrheit weißt. Gib dich zufrieden, Kamen. Geh nach Hause.“ Er wollte fortgehen, aber ich lief hinter ihm her.
    „Warum kannst du mir nicht ihren Namen

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