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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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und ihm zusetzen, bis er mir alles sagte, was er wußte? Ich hatte ganz eindeutig das Gefühl, daß er mir viel vorenthielt. Aber der mächtige Mann würde sich wohl kaum zwingen oder nötigen lassen, mehr für mich zu tun, es sei denn, es beliebte ihm so. Ich könnte Achebset und meinen Kameraden von der Militärschule die ganze Geschichte erzählen und sie bitten, die Stadt zu durchstreifen und auf alle Anhaltspunkte zu achten, die mich zu ihr führen konnten. Ja, das würde ich tun, doch Pi-Ramses war riesengroß, auf diesem Weg würde ich sie kaum aufspüren. Ich könnte tun, was Takhuru vielleicht jetzt schon tat. Ich könnte unter den Rollen im Arbeitszimmer meines Vaters suchen. Schließlich war er für mehrere Wochen fort. Der Gedanke, den Inhalt seiner Truhen zu durchstöbern, hinterließ einen unangenehmen Geschmack in meinem Mund. Es war abscheulich, derlei hinter seinem Rücken zu tun. Erst würde ich mit ihm reden - seine Unterlagen zu durchsuchen mußte meine letzte Zuflucht bleiben.
    Bei diesem Gedanken gähnte ich, denn das Fieber war einer jähen Müdigkeit gewichen. Ich rief nicht nach Setau, daß er mir das Khol vom Gesicht wusch, sondern legte Wäsche und Geschmeide ab, schleuderte alles zuhauf auf den Fußboden, warf mich auf mein Lager und deckte mich mit dem Laken zu. Eine Weile wirbelten mir die Ereignisse des Abends noch im Kopf herum - der gewaltige Haushofmeister Harshira und seine schwarzen Augen, mein erster Blick auf den Seher hinter seinem Schreibtisch, die weiß behandschuhten Hände auf der Tischplatte gefaltet, mein Schreck, als er die Kapuze zurückschob und Haare wie geronnenes Mondlicht offenbarte, dann sein Diener, der mir mit meinem Dolch in der Hand nachlief, als ich durch den Garten nach Haus ging - bis sich alles in Bewußtlosigkeit auflöste.
    Ich träumte nicht. Etwas in mir wußte, daß ich nun vor dieser besonderen Heimsuchung gefeit war, und ich schlief tief und fest bis zu dem Augenblick, als ich auf einmal hellwach war, mich aufsetzte und das Laken umklammerte. Die Lampe war verloschen, in der Luft hing der muffige Geruch nach verbranntem Öl, und ich konnte nur ganz schwach das Viereck meines Fensters erkennen, doch das machte nichts. Es war nicht die Angst, die mich hatte hochschrecken lassen, sondern ein Schleier war zerrissen. Jetzt wußte ich, was es mit der kleinen Tür im Arbeitszimmer des Sehers in der Wand rechter Hand auf sich hatte, die mich bei meinem Besuch so beunruhigt hatte. Da konnte ich mir noch nicht erklären, warum sie mich so beunruhigte, doch als ich jetzt dasaß und ins Leere starrte, sah ich alles deutlich vor mir: die ordentlich vollgestellten Regale, das schlichte Zedernholz der Tür, der Haken an der Türkante, der säuberlich in den in die Wand eingelassenen Ring gehakt war, und die Schnur, die durch Haken und Ring lief und die Tür verschlossen hielt.
    Schnur. Und Knoten. Viele Knoten, schwierig und unmöglich zu lösen, es sei denn, man wußte, wie sie geknotet waren, Knoten, die gewährleisteten, daß alles dahinter gut aufgehoben war. Oder darin. Jedermann verwendete Knoten, wenn er Truhen und Kästen verschließen wollte. Ich auch. In der Regel waren sie einfach, rasch geknüpft, damit die Deckel Staub, Sand oder Ungeziefer fernhielten. Falls zusätzliche Geheimhaltung vonnöten war, bedeckte man die Knoten mit Wachs und drückte seinen Ring hinein. Doch die Knoten, die die Tür im Arbeitszimmer des Sehers verschlossen hielten, waren so kompliziert und kunstvoll, ein geordneter Wirrwarr von Knüpfungen, daß man lange brauchte, wenn man sie lösen wollte. Schlimmer noch, man würde sie nie wieder so hinbekommen. Sie waren einzigartig. Und ich hätte mein Leben darauf verwettet, daß die Knoten, die ich mit halbem Auge gesehen hatte, von derselben Person geknüpft worden waren wie die, welche den Zedernholzkasten verschlossen gehalten hatten, den ich so widerstrebend aus Aswat mitgenommen hatte.
    Ich hatte Angst, mich zu bewegen. Stocksteif saß ich auf meinem Lager und fürchtete, daß selbst ein Fingerzucken meine Gedanken verscheuchen könnte. Dieselben Knoten. Dieselbe Person. Dieselbe Person? Aber es war unmöglich, daß der Seher die Knoten geknüpft hatte, die ich an dem Kasten, den mir die Irre in die widerstrebenden Hände gedrückt hatte, so eingehend untersucht hatte. Sie hatte behauptet, er enthielte ihre Lebensgeschichte. Folglich hatte sie auch den Inhalt hineingetan, den Deckel geschlossen und den Kasten verschnürt. Sie

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