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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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Gefühlen und Ratlosigkeit überschattet.
    Natürlich hatte Paiis den Kasten nicht vernichtet. Für mich war es sonnenklar, daß er ihn nicht nur aufgemacht, sondern darin etwas Wichtiges gefunden hatte, etwas, was so schwerwiegend war, daß er sie aus eigenem Antrieb heimlich verhaften ließ. Das war meinerseits eine Mutmaßung, doch er hatte nirgendwo angedeutet, daß er nur der Übermittler eines Befehls an mich war. Solange die Frau eine Landplage war, Männer belästigte, die sie für irre hielten und sie abblitzen ließen, hatte Paiis sie übersehen können. Doch durch mich hatte sich das vollkommen verändert. Ich hatte den Kasten übernommen. Ich hatte ihn trotz ihrer Warnung ihm übergeben und damit seinen Entschluß zu handeln beschleunigt. Falls es sich so verhielt, dann war ich der Grund für ihre bevorstehende Verhaftung. Natürlich würde ich dem General gehorchen. Eine Weigerung war undenkbar. Doch ich würde behutsam vorgehen. Hätte ich doch nur meine Prinzipien über Bord geworfen, die komplizierten Knoten durchtrennt und die Papyrusblätter gelesen, die sich zweifellos darin befunden hatten.
    Als ich nach Hause kam, war es vollends Nacht geworden. Zwar brannte eine Lampe in der Eingangshalle, dennoch wirkte das Haus verlassen, und die Stille, die mich anwehte, als ich über die Fliesen ging, hatte etwas Hohles. Bislang hatte ich die leichten Schritte meiner Schwestern oder die Stimme meiner Mutter, wenn sie tagtäglich das Haus für uns besorgte, nicht vermißt, doch jetzt sehnte ich mich danach, daß sie rief: „Kamen, bist du das? Du kommst spät!“ und daß Tamit mit ihrem Kätzchen auf den Fersen auf mich zulief. Auf einmal kam ich mir einsam und wurzellos vor, und mich verlangte nach der Geborgenheit der Familie und der behaglichen Überschaubarkeit meiner Kindheit.
    Als ich am Arbeitszimmer meines Vaters vorbeikam, blieb ich stehen. Auch er war fort. Er konnte mich also nicht ertappen, falls ich die Tür aufmachte, zu den
    Kästen ging, in denen er, wie ich wußte, seine Buchführung aufbewahrte, die Rollen herausnahm... Leise Schritte hinter mir brachten mich zur Besinnung. Ich fuhr herum. Es war Kaha mit der Palette unter dem Arm, am Handgelenk den Lederbeutel, in dem er seinen Papyrus aufbewahrte, und mit einer Lampe in der Hand. „Guten Abend, Kamen“, sagte er und lächelte. „Brauchst du etwas aus dem Arbeitszimmer?“ Ich reagierte mit einem spöttischen Lächeln.
    „Danke, nein, Kaha“, erwiderte ich. „Ich habe nur herumgestanden und gedacht, wie leer das Haus doch wirkt, wenn alle fort sind, und jetzt muß ich auch noch weg. In vier Tagen soll ich in den Süden reisen.“
    „So ein Pech aber auch. Wo du gerade zurückgekehrt bist“, sagte er höflich. „Vergiß nicht, der Herrin Takhuru einen Brief zu schicken und sie von deiner erzwungenen Abwesenheit in Kenntnis zu setzen.“ Er zwinkerte, und ich lachte.
    „Ich bin zuweilen ein vergeßlicher Liebhaber“, bestätigte ich. „Erinnere mich noch einmal daran. Schlaf gut, Kaha.“ Er neigte den Kopf und ging an mir vorbei, verschwand im Arbeitszimmer und schloß hinter sich die Tür.
    Ich rief nach Setau, zog mich aus, badete und speiste und sagte ihm, er könne während meiner Abwesenheit seine Familie im Delta besuchen, wenn er wolle, und als er mir eine gute Nacht gewünscht hatte, legte ich ein paar Körner Myrrhe in das kleine Weihrauchgefäß neben Wepwawets Statuette, entzündete die Holzkohle darunter, warf mich vor ihm zu Boden und betete inständig, daß diese Reise mir eine Antwort auf das Rätsel meiner Geburt geben und der Gott mich bei meinen Nachforschungen behüten möge. Als ich geendet hatte, stand ich auf und betrachtete ihn. Seine lange, edle Nase wies an mir vorbei, die kleinen Augen waren auf etwas gerichtet, was ich nicht sehen konnte, doch ich meinte, ihn murmeln zu hören: „Ich bin der Wegbereiter“, und damit gab ich mich zufrieden.
    Vom General kamen keine weiteren Anweisungen, die verbleibenden drei Tage meines Dienstes verliefen ereignislos. Kaha hatte Pa-Bast gesagt, daß ich fortmüsse, und der Verwalter versicherte mir, der Haushalt würde bis zu meiner Rückkehr reibungslos laufen. Die Worte waren eine reine Formsache. Solange ich zurückdenken konnte, regierte Pa-Bast die Familie ebenso gütig und skrupellos wie die Dienerschaft.
    Am zweiten Tag besuchte ich Takhuru. Sie schmollte bei meiner Neuigkeit weniger, als ich gedacht hatte, und umarmte mich liebevoller, als ich erwartet

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