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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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hatte. Wahrscheinlich war sie ganz aufgeregt bei dem Gedanken an das, was sie ,mein Geheimnis’ nannte. Bei Takhuru bedeutete aufgeregt, daß sie etwas erhitzt war und sich nicht ganz so feierlich-gemessen bewegte wie üblich. Ich beobachtete sie belustigt und zugegebenermaßen leicht erregt, doch es tat mir nicht leid, daß ich sie verlassen mußte. Die Pflichten meiner anderen Welt drückten mir bereits aufs Gemüt, und ich konnte nur hoffen, daß der Söldner sich als ein netterer Reisegefährte erwies als der brummige Herold.
    Nach meiner Wachablösung am dritten Abend überprüfte ich jede Elle des Bootes, das ich ausgesucht hatte, machte jeden Mehlsack auf, ging die Obstkörbe durch und überzeugte mich, daß die Bierkrüge noch versiegelt waren. Diese Überprüfung war beim Militär vorgeschrieben, obwohl sie häufig unnötig war. Was Waffen anging, so würde ich meine eigenen mitnehmen und der Söldner vermutlich seine. Wir würden mit einem Koch und sechs Ruderern reisen, alle von mir ausgewählt, denn wir würden tüchtig gegen den Strom anrudern müssen. Die Überschwemmung war auf ihrem Höhepunkt, und die Strömung in Richtung Delta war stark. Vor meiner ersten Reise nach Süden hatte ich mir vorgestellt, ich würde genüßlich stundenlang an Deck sitzen, während Ägypten an mir vorbeiglitt. Und so war es auch am ersten Tag. Danach wurde es allmählich langweilig und immer langweiliger, weil es keine gepflegte Unterhaltung gab, mit der man die Zeit hätte totschlagen können. Ein Söldner, der in der Wüste in der Randzone der ägyptischen Gesellschaft lebte, durfte munter und wenig aufgeblasen sein.
    Ich verbrachte ein paar Stunden mit Achebset im Bierhaus und torkelte danach auf unsicheren Beinen nach Hause zurück, während der Vollmond hoch am friedlichen Himmel stand. Eigentlich wollte ich auf der Stelle zu Bett gehen, doch Setau stand von der Matte neben meinem Lager auf, als ich mein Zimmer betrat. „Da“, sagte er und streckte mir eine Rolle hin. „Das ist vor ein paar Stunden für dich gekommen. Ich habe gedacht, ich sollte auf dich warten, falls das hier eine umgehende Antwort erfordert.“ Ich nahm die Rolle, erbrach Tak- hurus Familiensiegel und entrollte sie behutsam. „Liebster Bruder, wenn du kannst, komm sofort“, lautete sie. „Ich habe umwerfende Neuigkeiten für dich. Ich bin bis gegen Sonnenuntergang daheim, aber dann muß ich zu einem Fest auf dem Anwesen meines Onkels.“ Die Zeichen waren unbeholfen gekritzelt, die Linien der Hieroglyphen wacklig, also hatte Takhuru sie keinem Schreiber diktiert, sondern mühsam eigenhändig geschrieben. Es ging um etwas, was ihr Vater nicht wissen durfte. Das konnte nur bedeuten, daß sie ihr Versprechen wahrgemacht und sein Arbeitszimmer durchstöbert hatte. Was hatte sie gefunden? ,Umwerfende Neuigkeiten’ besagte die Rolle. In der Tat umwerfend, wenn sie das veranlaßt hatte, sich einer Arbeit zu unterziehen, die sie verabscheute, nämlich zu Binse und Papyrus zu greifen. Takhuru las nicht gern und schrieb auch nicht, obwohl man ihr eine bessere Ausbildung als den meisten Mädchen hatte angedeihen lassen.
    Ich ließ die Rolle zusammenrollen und starrte meinen Diener, der geduldig neben meinem Lager stand, blicklos an. Mein erster Gedanke war, aus dem Haus zu rennen, doch ich zügelte mich. Selbst wenn ich das tat, so war die Nacht bereits halb vorbei. Der Gedanke, sie zu wecken und dabei den ganzen Haushalt aufzustören, behagte mir gar nicht, und außerdem sollte ich Pi-Ramses um die Morgendämmerung herum verlassen. Widerwillig bewies ich Umsicht. Was auch immer sie entdeckt haben mochte, es mußte warten, bis ich zurück war. Hatte ich nicht schon sechzehn Lenze gewartet? Geduld, so pflegte mein Lehrer zu sagen, ist eine Tugend, die einzuüben lohnt, falls man eine achtenswerte Reife anstrebt. In diesem Augenblick war mir jedwede Achtung, ja, sogar Reife einerlei, doch ich wollte einen Auftrag nicht übermüdet beginnen oder, schlimmer noch, von Nesiamuns Verwalter dabei erwischt werden, wie ich über seine Mauern kletterte. Ich gab Setau die Rolle zurück.
    „Verbrenne das hier“, sagte ich, „und schicke morgen früh zu Takhuru. Laß ihr ausrichten, daß ich sie für einen Besuch hinsichtlich des Inhalts zu spät bekommen habe. Ich werde sie gleich nach meiner Rückkehr aus dem Süden aufsuchen. Danke, daß du auf mich gewartet hast.“ Er nickte und nahm den Papyrus.
    „Sehr wohl, Kamen. Ich habe deine Ausrüstung für morgen

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