Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
Vom Netzwerk:
niemand klopfte an ihren Türsturz. Am Ende war ihr einziges Zimmer eine Alptraumlandschaft aus Sandhügeln, und ich wußte, daß ich nicht weiterarbeiten konnte, ohne etwas davon nach draußen zu schaufeln, also legte ich die Leiche in die ausgehobene Grube und bedeckte sie mit Sand. In diesem Augenblick kam sie zurück, und wir beendeten die Arbeit gemeinsam, sie unbeholfen mit einer irdenen Schöpfkelle, und dann stampften wir die Erde fest und schoben den verbleibenden Sand unter ihr Lager.
    Eine geraume Weile hockten wir halb betäubt nebeneinander auf der Kante ihres Lagers und starrten den aufgewühlten Fußboden an. Dann kam ich wieder zu mir. „Ich muß los“, sagte ich. „Wenn ich meinem General berichte, sage ich, daß wir in Aswat festgemacht haben und mein Mann die Laufplanke hinuntergegangen und verschwunden ist. Ich habe dann versucht, dich selbst festzunehmen, aber du warst auch verschwunden.“ Auf einmal merkte ich, daß ich halb verdurstet war. „Es ist vorbei“, sagte ich und erhob mich steif. „Hast du Verwandte, die dich beherbergen und dir helfen, eine neue Hütte zu bauen? Mit welcher Ausrede willst du erklären, warum du diese aufgibst?“ Sie blickte mich mit großen Augen an, so als hätte ich den Verstand verloren, dann krallte sie die kräftigen Finger in meinen Arm.
    „Es ist nicht vorbei“, beharrte sie. „Glaubst du etwa, daß Paiis deinen Worten traut? Er wird den Mörder angewiesen haben, ihm Beweise dafür mitzubringen, daß er seinen Auftrag erfüllt hat, und wenn du mit deiner arglosen Geschichte ankommst, weiß er, daß etwas schiefgegangen ist. Falls du überzeugend lügst, schwebst du nicht in Gefahr, aber du kannst mir glauben, er wird einen anderen
    Spion oder Mörder auf mich ansetzen. Nein, Kamen. Ich kann nicht hier bleiben und in ständiger Angst leben, daß ich beim nächsten Mal den Kopf nicht rechtzeitig aus der Schlinge ziehe. Ich komme mit dir.“
    Ich fuhr zurück. Sie hatte natürlich recht, doch die Aussicht, auf unabsehbare Zeit für sie verantwortlich zu sein, entsetzte mich. Ich hatte gedacht, daß ich sie jetzt über meine Mutter ausfragen und dann fröhlich nach Norden und nach Haus aufbrechen und jeden Gedanken an diesen Aberwitz hinter mir lassen könnte.
    „Und was ist mit den Bestimmungen deiner Verbannung?“ sagte ich hastig. „Falls du Aswat verläßt, werden die hiesigen Behörden nach dir suchen und später gezwungen sein, dem Gouverneur dieser Provinz zu melden, daß du ausgerückt bist. Natürlich kann ich dich als meine Gefangene mit nach Norden nehmen, aber was wird aus dir, wenn wir erst im Delta sind?“
    „Ich habe keine andere Wahl!“ Das schrie sie fast. „Merkst du denn nicht, daß ich hier in der Falle sitze, eine wehrlose Beute bin? Die Dorfbewohner schämen sich meiner und würden mir nicht helfen. Meine Familie würde versuchen, mich zu schützen, aber zu guter Letzt würde Paiis sein Ziel erreichen. Er läßt nicht locker, der nicht.“
    „Aber warum?“ fragte ich. „Warum möchte er dich umbringen?“
    „Weil ich zuviel weiß“, war ihre grimmige Antwort. „Er hat nicht mit meiner Beharrlichkeit, meinem festen Willen gerechnet und daß ich mich nicht stumm und still verhalte. Er hat mich unterschätzt. Auf dem Weg nach Norden gebe ich dir mein Manuskript zu lesen, dann verstehst du das Ganze.“
    „Aber ich habe gedacht.“
    „Ich habe eine Abschrift angefertigt.“ Sie ließ sich vom Lager gleiten, drehte die Hände hierhin und dahin, betrachtete die schwieligen Handflächen, die raue Haut auf den Knöcheln, die dünne, rote Wunde, wo die Garotte in ihr Fleisch geschnitten hatte. „Ich habe hier fast siebzehn Jahre gelebt. Siebzehn Jahre! Jeden Morgen beim Aufwachen habe ich mir geschworen, daß ich nicht ruhe und raste, bis ich von dieser Fron befreit bin. Jeden Tag habe ich demütig und in Schimpf und Schande den Tempel gesäubert, habe mich um die Priester gekümmert, die gleichzeitig feindselige Nachbarn sind und im dreimonatigen Wechsel Andachten abhalten, habe meine eigene Nahrung gepflanzt, besorgt und geerntet und habe nicht den Verstand verloren, weil ich Papyrusblätter gestohlen und meine Geschichte in der wenigen freien Zeit, die ich hatte, aufgeschrieben habe. Ich bin nicht dumm, Kamen“, sagte sie, und zu meinem Erstaunen sah ich Tränen in ihren Augen. „Ich habe gewußt, wenn ich irgendeinen gutherzigen Reisenden dazu überreden kann, daß er den Kasten mitnimmt, habe ich dennoch keine

Weitere Kostenlose Bücher