Die Herrin Thu
das sie in den Mund steckte und lutschte. „Isis, hol mir die neue Dienerin, die mit den blauen Augen“, hörte ich sie sagen. „Ich glaube, sie arbeitet heute in der Küche. Sie soll auf der Stelle hier herkommen. Du kannst ins Haus zurückgehen.“ Isis verbeugte sich und ging.
Takhuru lehnte sich auf einen Ellenbogen. Ich sah, wie sich ihre Lippen kurz öffneten, so daß man das dunkle Stück Zimt zwischen ihren Zähnen sehen konnte. Gelassen betrachtete sie das bunte Bild, das sich ihr bot, dann erhob sie sich, schob das dünne goldene Knöchelkettchen zurecht und zog dabei das Tuch über ihren Schenkeln höher. Dann lehnte sie sich wieder zurück. Ihre Bewegungen waren langsam und träge und sinnlich aufreizend, und auf einmal ging mir auf, daß sie mich auf eine Art neckte, die ihrer Jugend und Unschuld eigentlich fremd sein sollte.
„Du bist heute wie die Göttin Hathor selbst“, rief ich ihr leise zu. Sie lächelte.
„Ich weiß“, sagte sie ungerührt.
Wir warteten. Die Zeit wurde uns lang, doch endlich trat die Frau mit behänden Schritten auf die kleine Lichtung am Teich. Sie trug das Kleid des Hauses, ein wadenlanges Trägerkleid, das gelb gesäumt war und von einem gelben Gürtel gehalten wurde. Das Haar hatte sie mit einem gelben Band oben auf dem Kopf zusammengenommen. Im Näherkommen verbeugte sie sich anmutig vor Takhuru und blieb stehen. „Du hast nach mir geschickt, Herrin Takhuru“, sagte sie. Takhuru setzte sich auf.
„Du hast mich so fachkundig massiert“, sagte sie, „und heute bin ich steif vom Schwimmen. Bitte, massiere mich noch einmal. Dort drüben findest du Duftöl.“ Sie zeigte darauf.
Die Frau verbeugte sich noch einmal und ging zu dem Ölkrug. Daneben lag Wepwawet halb unter einem Polster verborgen. Ich sah, wie sich die braune Hand der Frau ausstreckte und dann innehielt. Der Atem stockte mir. Ihre wartenden Finger fingen an zu zittern, dann stieß sie einen seltsam tierischen Schrei aus, griff mit beiden Händen nach der Statuette und drehte sich zu Takhuru um. Ich konnte ihr Gesicht klar erkennen. Sie hatte die Augen so weit aufgerissen, daß ihr Blau überall von Weiß umgeben war. Und sie war sehr blaß geworden, hob meinen Schutzgott hoch, drückte ihn unbeholfen an die Stirn und schwankte im Stehen, als wäre sie betrunken. Takhuru beobachtete sie genauso prüfend wie ich. Als sie wieder sprechen konnte, klang ihre Stimme rau.
„Herrin Takhuru, Herrin Takhuru“, sagte sie. „Woher hast du das hier?“ Jetzt streichelte sie die Statuette mit unsicherer Hand, so wie ich es oft getan hatte, spürte den glatten, schimmernden Linien des Gottes im Schurz nach.
„Die hat mir ein Freund geschenkt“, antwortete Takhuru beiläufig. „Sie ist vortrefflich gemacht, nicht wahr? Wepwawet ist der Schutzgott deines Dorfes, ja? Ei, Thu, was ist dir?“
„Ich kenne diese Statuette“, sagte Thu mit belegter Stimme. „Mein Vater hat sie mir vor langer Zeit als Geschenk zum Namenstag geschnitzt, als ich noch Zögling im Haus des Sehers war.“
„Bist du dir sicher, daß es dieselbe ist?“ fragte Takhuru. „Es gibt Hunderte von Bildnissen des Gottes. Schließlich ist er der Wegbereiter.“ Sie berührte Thus Arm. „Du darfst dich hinsetzen, Thu, sonst fällst du mir noch um.“ Die Frau sank ins Gras.
„Ich würde sie mit verbundenen Augen erkennen“, sagte sie jetzt ruhiger, obwohl ihre Stimme noch immer zitterte. „Eine Berührung, und ich weiß, das hat mein Vater gemacht. Habe ich sie nicht jeden Tag neben meinem Lager gesehen? Habe ich nicht vor ihr gebetet? Herrin, bitte, sag mir, wer ist der Freund, der sie dir geschenkt hat?“ Jetzt beugte sie sich zu Takhuru, das Gesicht verquält, der ganze Leib angespannt. „Als ich sie das letzte Mal gesehen habe, war sie im Besitz von Amunnacht, dem Herrscher im Harem des Königs, und an dem Tag habe ich Pi-Ramses verlassen und bin in die Verbannung gegangen. Ich habe Amunnacht angefleht, dafür zu sorgen, daß Wepwawet meinen kleinen Sohn begleitet, wohin man ihn auch immer bringt.“ Ich merkte, daß auf Takhurus ratloser Miene langsam Verstehen aufdämmerte. Die Frau hämmerte mit der geballten Faust auf die Erde ein. „Verstehst du denn nicht?“ schrie sie. „Wenn ich mit deinem Freund rede, könnte ich vielleicht meinen Sohn finden! Vielleicht lebt er noch!“ Takhuru starrte sie an, dann wanderte ihr Blick zu der Stelle, wo ich kauerte. „Ihr Götter“, flüsterte sie. „O ihr Götter. Kamen, sie meint
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