Die Herrin Thu
Und der Name der Nebenfrau, der Name meiner Mutter lautete Thu. War es schließlich doch wahr, dieses von den Göttern bewirkte Wunder, daß Thu aus Aswat auch meine Thu war? Nicht so schnell, versuchte ich mich zu bremsen. Thu ist ein sehr geläufiger Name. Tausende von ägyptischen Frauen heißen Thu. Trotzdem drehte ich fast durch vor Erregung. Ich ließ den Papyrus aufrollen. Kaha winkte mir mit dem Kasten, doch ich schüttelte den Kopf. „Die Rolle behalte ich noch ein Weilchen“, sagte ich. „Hol einen Diener, er soll hier aufräumen.“ Seine Blicke und Pa-Basts waren auf die Rolle in meiner Hand gerichtet, und ich musterte Pa-Basts Miene nach Anzeichen von Wiedererkennen oder einsetzender Erinnerung, doch vergebens. Ohne ein weiteres Wort drängte ich mich an ihm vorbei und durchquerte mit raschen Schritten die Halle in Richtung Treppe.
Ich war schon fast in meinem Zimmer, als mir etwas durch den Kopf schoß. Mir war, als hätte eine wartende Hand mit ein paar geschickten Bewegungen meine Gedanken zu einem neuen und erstaunlichen Muster geordnet. Der Schreck war beinahe körperlich, so daß ich stolperte, aufschrie und zu laufen anfing.
Nachdem ich in mein Zimmer gestürzt war, warf ich die Rolle auf mein Lager, fiel auf die Knie, riß meine Truhe auf und holte den Lederbeutel mit dem Manuskript heraus, das mir die Frau aus Aswat anvertraut hatte. Auf dem Fußboden sitzend schüttelte ich es heraus und blätterte fieberhaft in den Papyrusblättern herum. Gegen Ende ihres Berichts kam eine bestimmte Stelle. Ich fand sie und überflog die Zeilen. „Jeden Nachmittag, wenn die Hitze allmählich nachließ, nahm ich ihn mit auf den Rasen im Hof, legte ihn auf ein Laken und sah zu, wie er im Schatten meines Sonnensegels mit seinen stämmigen Gliedmaßen strampelte und fuchtelte und sich krähend über die Blumen freute, die ich pflückte, vor seinen Augen baumeln ließ und ihm dann in die Faust gab.“ Sie sprach von ihrem Sohn, dem Sohn, den sie und der Pharao zusammen gehabt hatten, dem Sohn, den man ihr fortgenommen hatte, als sie in Schimpf und Schande nach Aswat verbannt wurde. Nicht genug, nicht annähernd genug, dachte ich zusammenhanglos. Mein Traum, ja, die Worte bringen ihn mit gräßlicher Klarheit zurück, aber ist das mehr als ein Zufall? Doch er paßte genau in das Muster, das sich geformt hatte und mir jetzt beharrlich zusetzte.
Etwas anderes paßte auch. Auf der Rückreise nach Pi-Ramses war ich zu bedrückt und ängstlich gewesen, hatte nicht darüber nachgedacht, sondern nur Entsetzen und Mitleid für ihre Geschichte empfunden, doch jetzt fand ich noch eine Stelle, die ich zu rasch überflogen hatte. „Wie viele Male mochte er das Bildnis geölt haben, bis es die weiche Oberfläche hatte, die ich sehen und fühlen konnte. Wepwawet spitzte die Ohren, seine schöne, lange Nase witterte, aber seine Augen blickten mich im Bewußtsein seiner Allmacht gelassen an. Er trug einen kurzen Schurz, dessen Falten tadellos geschnitzt waren. Die eine Faust umklammerte einen Speer, die andere ein Schwert. Auf der Brust stand in zierlichen, geschnitzten Hieroglyphen , Wegbereiter’, und da wußte ich, daß sich Vater die Zeit genommen und sich von Pa-ari hatte beibringen lassen, wie man die Worte schnitzte. Vielleicht hatte Pa-ari neben ihm gesessen, hatte ihn beraten und aufgepaßt.“
Ich drehte mich um und betrachtete das friedfertige, kluge Antlitz des Gottes, der, solange ich zurückdenken konnte, neben meinem Lager gestanden hatte, und Wepwawet erwiderte den Blick und wirkte dabei sehr mit sich zufrieden. „Wegbereiter“, flüsterte ich. „Kann das sein? Ist das möglich?“ Ich stopfte die Papyrusblätter in den Beutel zurück, stand auf, griff mir die Statuette und stopfte sie dazu. Dann lief ich wieder die Treppe hinunter und in den Garten. Sie hatte den Schutzgott, den ihr Vater geschnitzt hatte, Amunnacht, dem Hüter der Tür, gegeben und ihn gebeten, dafür zu sorgen, daß er ihren Sohn begleitete, wohin auch immer er gebracht wurde. War er ins Haus von Men, dem Kaufmann, gebracht worden? Ich würde es herausfinden.
Das kleine Stück zu Takhurus Haus rannte ich, daß mir der Beutel an die Hüfte schlug und meine Sandalen kleine Staubwolken aufwirbelten. Die Sonne stand jetzt fast im Zenit. Der Weg wimmelte von Menschen, und ich mußte mich immer wieder durch Grüppchen schlängeln: arbeitsame Diener, barsche Soldaten und herumbummelnde Bewohner der Anwesen, an denen ich vorbeikam. Viele
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