Die Herrin Thu
ein, die seine Liebe zu Ägyptens Vergangenheit teilten, und ich war dort wegen meiner Vorliebe für Geschichte gut aufgehoben. Außerdem widerten mich in jüngeren Jahren Routine und Wiederholung an, und der Gedanke, meine Tage mit dem Schreiben vorhersehbarer Briefe für wohlhabende, aber einfallslose Leute von Adel zu verbringen, war mir ein Graus. Ich begann meine Laufbahn als Unterschreiber von Ani, dem obersten Schreiber dieses seltsamen Haushalts. Da zählte ich neunzehn Lenze. Vier Jahre lang wohnte ich praktisch eingesperrt im Haus dieses sehr sonderbaren, sehr zurückgezogen lebenden Mannes, und ich war zufrieden. Er erkannte und förderte meine Fähigkeit, jede beliebige Tatsache oder Zahl, jedes historische Ereignis zu behalten und wiederzugeben. Natürlich muß ein guter Schreiber in der Lage sein, die Worte seines Gebieters während des Diktats oder einer Unterhaltung zu behalten und sie auf Befehl zu wiederholen, doch meine Begabung war größer als die der meisten Schreiber, und das merkte mein Arbeitgeber.
Er übertrug mir eine Arbeit, die ich liebte und für die ich hervorragend geeignet war, die Erziehung eines nahezu ungebildeten jungen Mädchens, das er dazu ausersehen hatte, Ägypten und der Maat einen Dienst zu erweisen. Ich wußte um diesen Dienst. Ich billigte ihn. Und meine Zuneigung zu dem jungen Mädchen wuchs während der Ausbildung. Sie war schön und besaß eine ungeschliffene, rasche Intelligenz. Sie lernte schnell, und wie ich liebte und achtete sie die heilige Sprache, die uns Thot, der Gott der Weisheit und der Schrift, in den Tagen von Ägyptens Entstehung geschenkt hat. Es tat mir leid, als sie aus dem Haus ging, und sie fehlte mir.
Ich selbst verließ meinen Arbeitgeber, als ich befürchten mußte, daß er und all seine Bekannten unter Beobachtung durch den Palast stünden. Schließlich war der Dienst, für den ich das Mädchen geschult und ausgebildet hatte, Mord am Pharao gewesen, von dem wir uns alle erhofften, daß er die Wiedereinsetzung der Maat zur Folge haben würde. Doch der Pharao war nicht gestorben, und das Mädchen war verhaftet und zum Tode verurteilt worden. Aus unerfindlichen Gründen wurde das Urteil jedoch in Verbannung umgewandelt, und das beunruhigte mich. Mein Arbeitgeber mutmaßte, der Pharao wäre so verliebt in das Mädchen gewesen, daß er es trotz ihrer großen Schuld nicht schaffte, ihr Leben auszulöschen, doch ich war mir da nicht so sicher. Trotz all seiner Fehler war Ramses III. nicht der Mann, der sich nur durch Gefühle leiten ließ. Ich vermutete, das Mädchen hatte dem König irgendwelche Informationen zukommen lassen, die uns zwar nicht der Justiz auslieferten, jedoch scharfe königliche Wachsamkeit bewirkten. Mein Arbeitgeber war nicht meiner Meinung. Trotzdem verstand er meine Gründe, ihn zu verlassen, und stellte mir ein hervorragendes Arbeitszeugnis aus. Natürlich wußte er, daß ich, auch wenn ich nicht mehr unter seinem zugegebenermaßen behaglichen Dach lebte, ihn und die anderen Verschwörer nie verraten würde.
Das war vor siebzehn Jahren. Ich hatte mich in Mens Haus beworben, nachdem ich zwei unbefriedigende Jahre auf verschiedenen Anwesen verbracht hatte und merkte, daß mein Bedürfnis nach Abwechslung mit dem Alterwerden abnahm. Ich hatte meinem ersten Arbeitgeber die Treue gehalten und für die anderen ehrlich gearbeitet. Beinahe hätte ich mich mit der Tochter eines Haushofmeisters im Dienste eines meiner Arbeitgeber verheiratet. Und ich hatte es beinahe geschafft, meinen Anteil an dem geplanten Königsmord zu vergessen.
Mens Haus wurde mir zum Heim. Seine Diener wurden meine Freunde, seine Familie zu meiner eigenen. Ich sah zu, wie Kamen zu einem besonnenen, fähigen jungen Mann heranwuchs, der jedoch zuweilen seinen Kopf gegen den Willen seines Vaters durchsetzte. Als er ins Heer eintreten wollte, gab es böse Worte, aber Kamen siegte. Ich wurde nie das Gefühl los, daß ich ihn schon lange kannte, daher fiel es mir leicht, ihn zu lieben. Dann verlobte er sich, und ich wußte, es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er seinen eigenen Hausstand gründen würde. Und da überlegte ich, ob ich darum bitten sollte, ihm als Schreiber dienen zu dürfen. Doch bis dahin galt meine Treue seinem Vater.
Und ich konnte ihm auch nie lange böse sein. Er hatte mich tätlich angegriffen, doch ich wußte, daß er mir nicht weh tun wollte. Er selbst war enttäuscht und zornig und schon eine geraume Weile mit seinen Gedanken woanders,
Weitere Kostenlose Bücher