Die Herrin Thu
dich.“
Ich hatte so viel Mühe mit dem Aufstehen, als wäre ich von einer langen Krankheit geschwächt, dann trat ich unsicher auf die Lichtung und schaffte es bis zu der Frau, ehe meine Beine nachgaben und ich vor ihr zu Boden sank. Ich blickte ihr in die Augen. „Die Statuette gehört mir“, sagte ich, und meine Worte schienen dabei aus weiter, weiter Ferne zu kommen. „Sie war in meine Windel gewickelt, als ich in Mens Haus abgeliefert wurde. Ich weiß, daß der Pharao mein Vater ist. Und du... du bist tatsächlich meine Mutter!“
Zweiter Teil
KAHA
Siebtes Kapitel
Ich war noch ein junger Mann, als ich in dieses Haus kam. Damals war Kamen erst drei Jahre alt, ein ernstes, kluges Kind mit ebenmäßigen Zügen und dem brennenden Wunsch, alles zu verstehen, was um ihn herum vorging und sich in seinem offenen Blick spiegelte. Ich hätte einen guten Lehrer abgegeben, denn ich reagierte eifrig auf derlei schlummernde Fähigkeiten, damit sie sich auch ja entfalten konnten, doch in Kamens Fall hätte ich mir keine Sorgen zu machen brauchen. Sein Vater ließ ihm eine gute Schulausbildung angedeihen und erzog ihn so liebevoll, wie man es sich nicht besser wünschen konnte.
Der Junge hatte etwas an sich, was mich anzog. Er war wie ein Gesicht, das man kurz gesehen hat, wieder vergißt und dann überall sieht, ohne daß es mit einer Erinnerung oder einem Ereignis zu tun hätte. Zuweilen erlaubte ihm sein Vater, ins Arbeitszimmer zu kommen, während er Briefe diktierte. Dann saß Kamen mit seinen Spielsachen unter dem Schreibtisch, spielte still und warf mir, während ich schrieb, gelegentlich einen Blick zu, denn wir saßen auf gleicher Höhe, und oft hätte ich ihn gern berührt - nicht, um seine weiche Kinderhaut zu streicheln, sondern um das zu erspüren, was nicht in Verbindung zu meiner Erinnerung stand, aber dennoch vertraut war und sich ins Bewußtsein drängen wollte.
In Mens Haus ging es fröhlich und freundlich zu, und Men selbst war ein guter Gebieter. Ich war ein hervorragender Schreiber. Man hatte mich in dem großen Amun-Tempel von Karnak nicht nur in Literatur, sondern auch in Enttäuschung ausgebildet, denn dort erlebte ich, wie die Anbetung des Gottes zu einem komplizierten, aber hohlen Ritual verkam, das von Priestern vollzogen wurde, die nur noch ans Füllen der eigenen Schatullen glaubten und sich selbst wichtiger nahmen als die Macht der Gottheit oder die Nöte der Bittsteller. Trotzdem erhielt ich eine ausgezeichnete Ausbildung, und als sie beendet war, konnte ich mir das adlige Haus aussuchen, in dem ich meinen Beruf ausüben wollte.
Ich hegte auch eine Leidenschaft für die Geschichte meines Landes und trat daher in die Dienste eines Mannes mit gleichen Interessen. Er teilte meine Meinung, daß die Maat in Ägypten verderbt, der vergangene Ruhm unseres Landes befleckt war, denn früher hatten die Götter, die auf dem Horusthron saßen, die erforderliche Harmonie zwischen Tempel und Regierung gewahrt. Unser gegenwärtiger Pharao lebte unter der Fuchtel von Priestern, die vergessen hatten, daß Ägypten nicht dazu diente, sich zu bereichern und die Laufbahn der Söhne zu befördern. Das heikle Gleichgewicht der Maat, die kosmische Musik, welche die weltliche und geistliche Macht verwob und dabei jenes göttliche Lied erklingen ließ, das Ägypten groß gemacht hatte, war durch Korruption und Habgier aus dem Lot geraten, und Ägypten sang nur noch schwach und unmelodisch.
In seinen jüngeren Jahren hatte der Pharao das Heer in einer Abfolge von gewaltigen Schlachten gegen die andrängenden östlichen Stämme geführt, die sich die üppigen Weiden des Deltas aneignen wollten, doch sein Genie reichte nicht für die Schlachten, die innerhalb der eigenen Grenzen geschlagen werden mußten. Sein Vater hatte vor langer Zeit, als der fremdländische Usurpator den Horusthron für sich beanspruchte, einen Handel mit den Priestern gemacht, und diese hatten Sethnacht im Austausch gegen gewisse Vorrechte dabei geholfen, den Thron zurückzuerobern. Unser augenblicklicher Pharao hatte sich in den langen Jahren seiner Herrschaft an diese Abmachung gehalten, und die Priester waren dabei fett und aufgedunsen geworden, während das Heer einrostete und die Verwaltung an Menschen mit fremdländischem Blut ging, deren Treue so lange vorhielt wie das Gold, mit dem man sie bezahlte.
Mein erster Arbeitgeber hegte den innigen Wunsch, die Maat möge genesen und erneut hergestellt werden. Er stellte nur Leute
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