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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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unter diesem Schreibtisch mit seinen Spielsachen spielt, während du mit gekreuzten Beinen danebensitzt und Vaters Diktat aufnimmst. Wenn du mir den Kasten nicht gibst, den ich brauche, zerlege ich dieses Arbeitszimmer in Einzelteile, bis ich ihn gefunden habe. Es ist mir inzwischen einerlei, was mein Vater dazu sagt. Ich habe keine Angst vor ihm. Und du hast mir nichts zu befehlen.“
    „Kamen, ich habe dich sehr gern“, sagte er, „aber vergiß nicht, daß auch du mir nichts zu befehlen hast. Ich unterstehe nur deinem Vater und niemandem sonst. Darauf gründet sich meine Stellung in diesem Haus.“
    Ich stand auf, ging zu einer der Truhen unter den Regalen, zertrat das Wachssiegel auf der Schnur, die sie mittels zweier Knebel verschlossen hielt, machte sie auf und warf den Inhalt zu Boden. Stumm sah Kaha mir zu. Die Truhe enthielt weitere Rollen, aber auch Schächtelchen und in Leinen gewickelte Dinge. Daran riß ich mit grober Hand und wickelte sie auf. Goldene Schmuckstücke, Silberbarren, ein ungeschliffener Lapislazuli, der soviel wert sein mochte wie unser ganzes Haus, ungefaßte Edelsteine, sabäische Münzen, doch nicht das, wonach ich suchte. Ich trampelte durch den Wirrwarr und machte mich an die zweite Truhe. Der Deckel krachte gegen die Wand. Ich bückte mich.
    „Schon gut, schon gut!“ rief Kaha. „Ihr Götter, Kamen, bist du verrückt geworden? Ich gebe dir, was du haben willst. Rufe Pa-Bast als Zeugen dafür, daß du mich dazu gezwungen hast.“ Doch ich brauchte den Haushofmeister gar nicht zu rufen. Er stand bereits drohend in der Tür und starrte entsetzt auf das Chaos, das ich angerichtet hatte. Ich gab ihm keine Gelegenheit, etwas zu sagen.
    „Siehst du das da?“ fragte ich mit bebender Stimme. „Das habe ich getan. Kaha hat versucht, mich davon abzuhalten. Er wird mir jetzt geben, wonach ich suche, denn wenn er das nicht tut, verwüste ich das ganze Zimmer. Es ist mir ernst, Pa-Bast.“ Ich merkte, wie er mich rasch abschätzte, dann Kahas Zorn und das Ausmaß des Schadens, den ich bereits angerichtet hatte.
    „Bist du betrunken, Kamen?“ erkundigte er sich vorsichtig. Ich schüttelte den Kopf. „Dann solltest du ihm lieber geben, was seinen Wutanfall ausgelöst hat“, sagte er zu Kaha. „Und falls dich das nicht beruhigt“, fuhr er an mich gewandt fort, „muß ich dich in deinem Zimmer einsperren, bis dein Vater aus Fayum zurück ist.“
    „O nein, das tust du nicht“, gab ich zurück. „Ich bin vollkommen bei Sinnen. Alles in Ordnung, was, Kaha?“ Der nickte frostig, ging zu einer anderen Truhe, machte sie auf und holte einen weiteren Kasten heraus. Dieser war aus Ebenholz und mit Gold eingelegt. Er klappte den Deckel auf und reichte ihn mir.
    „Ich halte ihn, während du den Inhalt prüfst“, sagte er. „Bitte nichts anrühren, außer der Sache, die du haben willst.“
    Ich sah sie sofort. Sie glich der Rolle, die Takhuru mir gezeigt hatte. Der Papyrus war von erlesener Qualität, fest gewoben und dann fachkundig poliert. Dieses Siegel hing noch heil an einer Seite des Blattes, war nicht zerbrochen, und der Abdruck war auch der gleiche. Langsam entrollte ich den Papyrus, und dabei vergaß ich die beiden Männer, die Unordnung auf dem Fußboden, den weiteren Inhalt des Kastens, den Kaha mir noch immer hinhielt. Auf einmal hatte ich die Fassung wiedererlangt, und ich las die Hieroglyphen ohne das geringste Zittern.
    „An den Edlen Men mit Grüßen. Uns ist dein Wunsch zu Ohren gekommen, einen Knaben an Kindes Statt anzunehmen, und nach Prüfung sowohl deiner Abkunft aus dem niederen ägyptischen Adel als auch deines guten Rufes beliebt es uns, ein Kind in deine Obhut zu geben, das mit unserem heiligen Samen gezeugt und von der königlichen Nebenfrau Thu geboren wurde. Das sollst du als dein eigenes aufziehen und erziehen. Im Gegenzug dazu übertragen wir dir eines unserer Anwesen in Fayum, dessen Lageplan beigefügt ist. Bei Strafe unseres allergrößten Mißfallens ersuchen wir dich, diesem Kind niemals seine Abkunft zu enthüllen, und wünschen dir viel Freude an ihm. Dem Hüter der Tür, Amunnacht, am sechsten Tage des Monats Mesore im vierzehnten Jahr unserer Herrschaft diktiert.“ Die Rolle war mit einer anderen Handschrift unterzeichnet, der Schreiber hatte so hastig geschrieben und so fest aufgedrückt, daß es den Papyrus zerrissen hatte. Die Titel des Königs nahmen vier Zeilen in Anspruch.
    Es stimmte also. Ich war ein Königssohn. Diese Rolle bestätigte es.

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