Die Herrin Thu
sich jedes Mal über alle Maßen gefreut, wenn ich ihr einen auf die winzige Handfläche legte. Kleine libysche Prinzessin, so hatte ich sie genannt und sie wegen ihrer Überheblichkeit gehänselt, und sie hatte mich strahlend angelacht. Jahrelang hatte ich nicht mehr an sie gedacht, aber jetzt, als ich den großen Hof erreichte und ihn überquerte, nahm ihr Bild Form und Farbe an. Sie war Linkshänderin gewesen, ein Kind des Seth, und hatte sich als abergläubisches Bauernmädchen deswegen geschämt, bis ich ihr erklärte, daß Seth nicht immer der Gott der Bosheit gewesen sei und man ihm die Stadt Pi-Ramses geweiht hatte. „Nur Mut, Thu“, hatte ich gesagt, als ich das uncharakteristische Zögern auf ihrem Gesicht bemerkte. „Falls Seth dich liebt, bist du unbesiegbar.“
Doch sie war nicht unbesiegbar gewesen. Sie hatte sich zur Sonne emporgeschwungen wie der leibhaftige, mächtige Horusfalke und war in Schmach und Schande abgestürzt. Ich seufzte, als ich zwischen den bemalten Säulen durchging, die den Eingang schmückten, und begrüßte den Diener, der hinter ihnen stand. „Du sollst gleich ins Speisezimmer gehen“, sagte er, und ich überquerte die große, geflieste Halle, daß meine Sandalen klatschten und das Echo von den Wänden widerhallte. Dann trat ich durch die vertraute Flügeltür rechter Hand.
Lampenlicht kam mir entgegen, und der Schein vermischte sich mit den letzten Strahlen der Sonne, die noch durch die Oberlichtfenster unter der Decke fielen. Die mit Blumen bestreuten Tischchen vor den Sitzpolstern und die Öllampen wehten mir eine Brise duftende Luft zu. Irgendwie roch es ganz leicht nach Jasmin, dem Parfüm, das der Gebieter bevorzugte, und da überfielen mich die Erinnerungen so mächtig, daß ich nicht weitergehen konnte, sondern auf der Schwelle verharrte. Dann kam Harshira, der Haushofmeister, auf mich zugeglitten wie eine beladene Barke unter vollem Segel, seine kholumrandeten Augen strahlten, und er drückte mir mit seinen Pranken die Hand. „Kaha“, sagte er mit dröhnender Stimme. „Ich freue mich wirklich sehr, dich zu sehen. Wie ist es dir in Mens Haus ergangen? Von Zeit zu Zeit treffe ich mich mit Pa-Bast, und dann tauschen wir Neuigkeiten aus, doch es tut gut, dich von Angesicht zu Angesicht zu sehen.“ Auf diese herzliche Begrüßung reagierte ich ebenso herzlich, denn ich hatte ihn immer gemocht und geachtet. Doch meine Aufmerksamkeit galt den anderen.
Sie waren alle da. Paiis im kurzen, dunkelroten, goldgesäumten Schurz, der seine gutgeformten Beine zur Geltung brachte, die Brust voller Goldketten und einen Goldtropfen im Ohr. Sein schwarzes Haar war mit Öl zurückgekämmt, sein Mund mit Henna rot geschminkt. Der königliche Oberhofmeister Paibekamun war im Laufe der Jahre, die ich ihn nicht gesehen hatte, etwas gealtert. Er ging gebückt, und die Haut über seinen Wangen spannte sich noch mehr, doch seine Miene war so verschlossen und verächtlich wie eh und je. Ich mochte ihn nicht, und mir fiel ein, daß Thu ihn auch nicht gemocht hatte. Er war kalt und berechnend. Paiis ruhte bequem auf einen Ellbogen gestützt, den Weinbecher in der Hand, doch Paibekamun saß mit gekreuzten Beinen und so aufrecht, wie es sein krummes, altes Rückgrat noch zuließ. Er schenkte mir kein Lächeln.
Hunro jedoch lächelte. Mit Khol und Henna, juwelenfunkelnd, die Zöpfe mit Silber durchflochten und die Falten ihres langen Kleides mit Karneolperlen besetzt, hätte sie die Schönheit in Menschengestalt sein können, wenn sich da nicht von ihren Nasenflügeln zum Mund Falten gezogen hätten, die sie unzufrieden und etwas mürrisch wirken ließen, sogar wenn sie lächelte. Ich erinnerte mich an sie als behände und gelenkig, eine ausgebildete Tänzerin mit einem unsteten Körper und einem flinken, männlichen Verstand, doch irgendwie kam sie mir jetzt dicker vor. Sie und Thu hatten im Harem eine Zelle geteilt. Sie stammte aus einer alten Familie, hatte einen Bruder, Banemus, der General war, doch statt den Mann zu heiraten, den ihr Vater für sie ausgewählt hatte, war sie lieber in den Harem gegangen. Dort hatte sie ihr Leben verbracht, und wenn ich jetzt ihre unzufriedene Miene sah, so fragte ich mich denn doch, ob sie ihre Wahl bedauert hatte.
Und da war ja auch Hui, und bei seinem Anblick entspannte ich mich. Er stand auf und blickte mich an, eine Säule ganz aus Weiß, das lediglich durch die Silberkante an seinem Schurz und den Silberreifen an seinem Oberarm gebrochen
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