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Die Herrin Thu

Die Herrin Thu

Titel: Die Herrin Thu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Pauline Gedge
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geschlafen. Das beunruhigte mich nicht. Kamens Laster waren vergleichsweise harmlos, jugendliche Untugenden, und vermutlich hatte er die Nacht mit seinen Freunden durchzecht und schlief seinen Rausch bei einem von ihnen aus. Er hatte nach seinem letzten militärischen Auftrag noch einen Tag frei, daher machte ich mir wegen seiner Abwesenheit nicht allzu viele Sorgen.
    Am Vormittag wurden Rollen für mich abgegeben, die ich bearbeiten mußte, damit hatte ich ein paar Stunden im Arbeitszimmer zu tun. Dann speiste ich mit Pa-Bast, legte mich für ein Stündchen hin und schwamm am Nachmittag wie immer im See. Gegen Sonnenuntergang war Kamen noch immer nicht zurück, und sein Lager blieb auch diese Nacht leer.
    Zwei Stunden nach Sonnenaufgang durchquerte ich gerade die Eingangshalle, als ein Soldat auf mich zukam. Ich blieb stehen, während er hinzutrat und salutierte. „General Paiis schickt mich, ich soll mich erkundigen, wo der Hauptmann seiner Hauswache bleibt“, sagte er ohne weitere Umschweife. „Offizier
    Kamen hat sich heute morgen nicht zum Dienst gemeldet. Falls er krank ist, hätte man den General benachrichtigen müssen.“
    Ich dachte rasch nach. Bei den Worten des Mannes überfiel mich Besorgnis, und mein erster Impuls war, Kamen in Schutz zu nehmen. Er war alles andere als unzuverlässig. Wie wild seine Nächte auch sein mochten, nie hatte er es versäumt, sich rechtzeitig zur Wachablösung einzustellen, und noch nie hatte er die Soldaten unter seinem Befehl sich selbst überlassen. Fiel mir eine glaubhafte Lüge ein? Daß, sagen wir, in Fayum eine Krankheit ausgebrochen wäre und sein Vater dringend nach ihm geschickt hätte? Doch was war, wenn Kamen in diesem Augenblick beim General eintrat, nachdem er irgendwo verschlafen hatte? Nein. Seine Ausrüstung lag noch auf dem Lager, wo Setau sie hingelegt hatte. Wo mochte er stecken? Bei Takhuru? Zwei Nächte lang? Das würde Nesiamun nie zulassen. War er im Rausch in den Fluß gefallen und ertrunken? Eine Möglichkeit. In der Stadt überfallen und ausgeraubt und zusammengeschlagen worden? Eine andere, jedoch entferntere Möglichkeit. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Irgendwie wußte ich, daß er nicht verschlafen hatte, daß er nicht nach Hause kommen würde, daß sich etwas Schreckliches abspielte und daß ich für ihn lügen mußte.
    „Richte dem General aus, daß sein Vater letzten Abend aus Fayum nach ihm geschickt hat“, sagte ich. „Eine Familienangelegenheit von äußerster Dringlichkeit, und er ist auf der Stelle aufgebrochen. Hat der General seine Nachricht nicht erhalten?“
    „Nein. Wann kommt er zurück?“
    „Das weiß ich nicht. Aber sobald ich Nachricht habe, teile ich sie dem General mit.“ Der Mann machte auf den Hacken kehrt und trabte davon, während ich mich umdrehte und hinter mir Pa-Bast entdeckte.
    „Das wächst sich zu einer schlimmen Sache aus“, sagte er leise zu mir. „Was sollen wir nur tun? Ich schicke Setau zu Achebsets Haus und lasse dort nachfragen, desgleichen bei Nesiamuns Haushofmeister, ob Kamen bei der Herrin Takhuru gewesen ist, aber wenn wir ihn nicht auftreiben, müssen wir Men benachrichtigen. Hoffentlich geht es Kamen gut. Die städtische Polizei mag ich noch nicht einschalten, denn dann wissen alle von seinem Verschwinden.“ Ich nickte. Es hat etwas mit der Rolle zu tun, dachte ich bei mir, äußerte es aber nicht laut.
    „Schick Setau“, sagte ich. „Weiter können wir im Augenblick nichts tun. Falls er ohne gute Nachricht zurückkommt, müssen wir uns erneut beraten.“
    An jenem Morgen hatte ich wenig zu tun. Ich nahm ein paar Rollen zum Lesen mit in den Garten und ließ mich mit Blick auf das Tor nieder, und als ich Setau gehen sah, ging ich ins Haus zurück. Kamens Tür stand offen. Der Gang hinter mir war leer. Rasch ging ich zu seiner Truhe, und als ich sie aufklappte, sah ich die Rolle auf einem Stapel frischer Wäsche liegen, wohin Setau sie zweifellos gelegt hatte, nachdem er das Zimmer aufgeräumt hatte. Ich nahm sie, schloß den Deckel und ging wieder nach draußen.
    Natürlich hatte ich vorgehabt, Kamen zu erzählen, was Pa-Bast und ich beschlossen hatten, und ihn zu bitten, daß er die Rolle zurückgab, doch Kamen war Gott weiß wo, und Men und die Frauen würden bald heimkehren. Falls ich ein Schreiber gewesen wäre, der sich peinlich an die Buchstaben des Gesetzes hielt, hätte ich die Rolle ins Arbeitszimmer zurückgebracht und sie in Mens Privatkasten zurückgelegt, und ich hatte

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