Die Herrin Thu
machen, und sie würden dann beschließen, was zu tun war, falls überhaupt. Von mir würde niemand etwas verlangen, jedenfalls hoffte ich das. Dennoch ängstigte ich mich und rührte das Mahl nicht an, das man mir hinstellte.
Wie ich vorhergesehen hatte, kehrte Setau ohne Kunde von Kamen zurück. Seine Freunde hatten ihn nicht gesehen. Nesiamuns Haushofmeister, den er privat befragt hatte, hatte ihn auch nicht gesehen. „Geben wir ihm noch einen Tag, ehe wir die städtische Polizei alarmieren“, sagte Pa-Bast. „Schließlich sind wir nicht seine Gefängniswärter. Vielleicht ist er aus einer Laune heraus auf die Jagd gegangen und hat versäumt, uns zu benachrichtigen.“ Doch das hörte sich nicht überzeugend an, und ich entgegnete nichts darauf. Er war sehr wohl auf der Jagd, und falls er seine Beute fand, würde es das Leben aller in Huis wie auch in Mens Haus für immer verändern.
Hui bestätigte meine Botschaft nicht. Trotzdem sagte ich Pa-Bast am nächsten Abend, daß ich Freunde besuchen wolle, und ging im Licht eines roten, vollkommenen Sonnenuntergangs zum Haus des Sehers. Wir hatten den dritten Tag des Monats Khoiak. Das jährliche Hathor-Fest war vorbei. Demnächst würde der Fluß zurückgehen, und die Fellachen würden den fruchtbaren Schlamm treten, den die Überflutung zurückgelassen hatte, und ihre Saat aussäen. Hier am See würde sich wenig verändern. Die Obsthaine würden einen Teppich aus Blütenblättern fallen lassen und Frucht ansetzen, doch das Leben in der Stadt würde wie gewohnt weitergehen, es wurde wenig von der jähen, regen Betriebsamkeit auf dem Land berührt.
Ich war in Pi-Ramses geboren und aufgewachsen und hatte wenig Sinn für die Unveränderlichkeit, das ewige Gleichmaß des restlichen Ägyptens, das sich stark von der ständigen Unruhe unterschied, die eine große Ansammlung von Menschen bewirkte. Ob ich nun daran teilnahm oder nicht, ich wollte wissen, es gab sie und mich mitten darin. Meine Jahre in der Tempelschule von Karnak bei Theben waren mit eifrigem Lernen vergangen. Ich hatte weder Muße noch Neigung gehabt, die Stadt zu erforschen, die einst der Mittelpunkt Ägyptens gewesen war, jetzt jedoch nur noch für die Anbetung Armins und die Bestattungen lebte, die regelmäßig am Westufer, in der Totenstadt, stattfanden. Doch meine Gedanken wanderten südwärts, als ich mich Huis Pylon näherte, und Erinnerungen ließen mein Herz schneller schlagen. War Kamen auf dem Fluß, reiste er in die ausgedörrte Feindseligkeit der Wüste und zum Dorf Aswat?
Der alte Türhüter kam aus seiner Nische gehumpelt und bedachte mich mit einem finsteren Blick. „Kaha“, sagte er grämlich, „dich habe ich lange nicht gesehen. Du wirst erwartet.“
„Danke!“ gab ich im Vorbeischreiten munter zurück. „Gott zum Gruße, Minmose. Hast du deinem Namen eigentlich jemals Ehre gemacht?“ Er kicherte heiser, während er in seine Nische zurückschlurfte, denn sein Name bedeutete Sohn des Min, und Min bedeutete zugleich Amun, wenn der Gott einmal im Jahr zum Salatesser von Theben und zum Herrscher über alle fleischlichen Gelüste ausgerufen wurde.
Obwohl mein Besuch einen ernsten Grund hatte, muß ich gestehen, daß sich mein Schritt beflügelte, als ich durch den eleganten Garten des Sehers schritt. Hier war ich glücklich gewesen. Ein Großteil meiner Jugend lag in den rosigen Tropfen, die der Springbrunnen versprühte, und sprach aus den frühabendlichen Schatten der Bäume zu mir. Dort hatte ich gesessen, und die junge Thu hatte mich konzentriert reden hören, während ich die Schlachten von Osiris Pharao Thutmosis III. aufzählte und von ihr erwartete, daß sie diese behielt und ihrerseits aufzählte. Sie hatte geschmollt, weil ich sie das Bier neben uns erst trinken ließ, wenn sie es richtig gemacht hatte. Und dort war ich auf dem Weg zum Markt stehengeblieben und hatte ihr zugesehen, wie sie mit Nebnefer, dem Sportlehrer des Gebieters, ihre Übungen machte, ihr geschmeidiger Leib schweißglänzend, während Nebnefer sie heiser anfeuerte. Wie arglos und beflissen sie in jener Zeit gewesen war. Als sie aus meiner Obhut entlassen wurde, um unter dem Gebieter höchstpersönlich zu lernen, hatten mir unsere gemeinsamen Unterrichtsstunden schrecklich gefehlt, und obwohl wir uns täglich sahen, war es doch nicht mehr das gleiche.
Was wohl aus der kleinen Sammlung von irdenen Skarabäen geworden war? Ich hatte ihr für jedes Fach, das sie meisterte, einen geschenkt, und sie hatte
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