Die Herrin von Avalon
mir nicht«, sagte Dierna ruhig. »Das geschieht oft nach einem besonderen Augenblick. Die Stimmung geht vorüber, und es melden sich Zweifel. Am Morgen nach meiner Weihe zur Hohepriesterin wollte ich aus Avalon fliehen.« Sie lächelte ihn an. »Hab keine Angst, es ist nichts geschehen, was deiner Ehre schaden könnte.«
Er hob fragend die Augenbrauen, aber dann lächelte auch er. Die Falten in dem vom Wetter gezeichneten Gesicht glätteten sich. Dierna entging die Veränderung nicht, und sie dachte: Ich würde ihn gern lachen sehen ...
»Das hängt davon ab. Kannst du mir sagen, was ich wirklich geschworen habe?«
»Britannien mit deinem Leben zu verteidigen ... « begann sie, aber er schüttelte den Kopf.
»Das war bereits meine Pflicht. Das Ritual der vergangenen Nacht bedeutete mehr. Hast du einen Zauber benutzt, um mich dir gefügig zu machen?«
Sie gingen schweigend weiter, während Dierna über die Frage nachdachte. Sie fand es ein gutes Zeichen, daß ihm die Macht des Rituals bewußt geworden war. Seine Sensibilität bedeutete jedoch auch, daß sie ihre Worte mit Bedacht wählen mußte.
»Ich bin keine Hexe, sondern eine Priesterin der Göttin. Ich würde gegen mein Gelübde verstoßen, wenn ich deinen Willen durch Zauberkünste außer Kraft setzen wollte.« Er nickte, und sie sprach weiter. »Ich bin jedoch der Meinung, daß du durch das Ritual eine Bindung eingegangen bist. Du hast dein Leben bereits den Göttern übergeben, bevor wir uns körperlich begegnet sind.«
»Du sprichst von dem Unwetter?«
Wieder veränderte sich sein Gesicht. Aber er lachte nicht, sondern etwas Tieferes, fast Gefährliches sprach aus seinen Zügen. Sein bohrender Blick versetzte ihr einen Stich ins Herz. Sie schwieg, und er fragte: »Wie kann eine Frau im Sturm über die Wellen laufen?«
»Mein Körper befand sich in Trance ... du hast meine geistige Gestalt gesehen. Ich bin durch das geheime Wissen von Avalon zu solchen Dingen in der Lage.«
»Durch druidisches Wissen?« fragte er mißtrauisch.
»Das Wissen haben die Druiden über die Zeiten hinweg vor dem Vergessen bewahrt. Es wurde ihnen von jenen übermittelt, die aus Atlantis über das Meer zu uns kamen. Alles, was von diesem Wissen noch bekannt ist, wird von den Priestern und Priesterinnen auf Avalon gehütet.« Sie sah ihn ernst an und fügte hinzu: »Avalon besitzt noch immer große Macht. Diese Macht könnte dir von Nutzen sein, wenn du das Land gegen unsere Feinde verteidigen möchtest. Mit unserer Hilfe könntest du zum Beispiel sofort wissen, wann Piraten einen Überfall planen. Du könntest sie auf dem Rückweg abfangen und bestrafen.«
»Wie soll diese Hilfe mich erreichen?« fragte er zweifelnd. »Ich bin ständig auf See, ich muß den Kanal überqueren und an der Küste patrouillieren. Du kannst nicht immer in Trance sein, um mir deine Ratschläge zu geben!«
»Du hast recht. Auf Avalon habe ich viele Pflichten, denen ich mich widmen muß. Aber wenn eine der unseren bei dir wäre, könnte sie uns helfen. Wenn es um wichtigere Fragen geht, würde sie sich auf geistige Weise mit mir verständigen.« Sie schwieg und sah ihn prüfend an. Dann sagte sie entschlossen: »Ich möchte dir ein Bündnis vorschlagen. Wenn du einverstanden bist, werde ich dir zum Zeichen dafür eine meiner Frauen geben.«
Carausius schüttelte den Kopf. »Im Dienst ist es uns nicht erlaubt, Frauen eine militärische Aufgabe zu übertragen ... «
»Sie soll deine Ehefrau werden«, unterbrach ihn Dierna. »Man hat mir gesagt, daß du nicht verheiratet bist.«
Er schluckte und wurde rot. »Ich bin Offizier ... « erwiderte er etwas aus der Fassung gebracht und räusperte sich. »An wen hast du dabei gedacht?«
Dierna lachte leise. »Du hast schon lange verlernt, Befehle entgegenzunehmen.« Sie lächelte ihn an. »Ich weiß, du denkst, daß ich dich beherrschen möchte. Aber ich denke an dein Wohlergehen und an das, was dieses Land braucht. Ich würde dir Teleri zur Frau geben. Sie ist die Tochter von Eiddin Mynoc. Ihrer Herkunft nach ist das eine Verbindung, die alle, Römer und Fürsten, billigen würden. Außerdem ist sie sehr schön.«
»Ist das die Jungfrau, die gestern beim Ritual die Fackeln entzündet hat?« fragte er, und als Dierna nickte, sagte er: »Ja, sie ist sehr schön, aber ich habe kaum ein Wort mit ihr gewechselt.«
»Ich werde sie nicht zu dieser Heirat zwingen. Wenn sie einwilligt, dann rede ich mit ihrem Vater. Alle sollen glauben, daß du bei ihm, wie es
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