Die Herrin von Avalon
ihnen schloß. Ehen wurden im allgemeinen im Frühjahr oder Anfang Sommer geschlossen, aber für Carausius war es bestimmt besser, sich zu vermählen, wenn der Einbruch des Winters den Raubzügen der Piraten ein Ende setzte. Dann hatte er Zeit, Teleri richtig kennenzulernen, bevor er wieder in den Kampf ziehen mußte. Die Hohepriesterin zog Bilanz und war zufrieden, aber sie fühlte sich erschöpft. Sie hatte in den letzten beiden Monden alles getan, um Teleri auf die Hochzeit vorzubereiten.
Das bevorstehende Fest war bestimmt auch der Grund dafür, daß Teleri so blaß aussah. Als sie den geschlossenen Wagen bestiegen, den Eiddin Mynoc geschickt hatte, um sie nach Durnovaria zu bringen, drückte sie Teleri aufmunternd die Hand.
Ihr Zögling hatte alle ihre Erwartungen erfüllt und die Ausbildung erfolgreich abgeschlossen. Teleri hatte auch gelernt, in das Wasser zu blicken und dort Visionen zu sehen.
Am leichtesten war das natürlich in dem Becken bei der heiligen Quelle, aber eine silberne Schale tat es auch, wenn die Seherin genug von dem heiligen Rauch einatmete und das Wasser mit dem richtigen Spruch geweiht worden war. Der Erfolg beruhte nicht auf dem Wasser, sondern auf dem, der hineinblickte. Dierna hatte genug Erfahrung, um notfalls selbst in einer Schlammpfütze Visionen zu haben. Sie mußte nur langsam und kontrolliert atmen und kam dabei sogar ohne Kräuter aus. Manchmal stellte sich das Gesicht auch ungewollt ein, und diese Visionen waren die wichtigsten, weil sie aus der Notwendigkeit kamen.
Teleri jedoch glaubte noch immer, daß die Form der Dinge heilig sei. Deshalb gehörte zu den vielen Sachen, die sie mitnahm, ein altes Silberbecken mit eingravierten verschlungenen Spiralen, denen die Augen folgen konnten, und genügend Krüge Wasser aus der heiligen Quelle.
Teleri blickte durch den Spalt der Ledervorhänge, als könnten ihre Augen die Nebel durchdringen, die Avalon vor ihr verbargen. Doch sie sah nur die Kirche der Christen und ein paar Hütten, in denen die Mönche lebten. Etwas höher befanden sich die Quelle und die Gebäude der christlichen Schwesternschaft. Darüber ragte der kahle flache Gipfel des Tors. Dorthin kam keine Hohepriesterin mehr, seit die Mönche die geweihten Steine geschändet hatten. Wenn man den Blick von außen auf die Insel warf, fiel es manchmal schwer zu glauben, daß all jene, die durch die Nebel fahren konnten, die große Halle von Avalon erreichten, das Haus der Jungfrauen und den Ring der Steine.
Dierna sank mit einem Seufzen gegen die weiche Rückenlehne, als sich der Wagen in Bewegung setzte, und ließ den Vorhang fallen. Teleri hatte bereits die Augen geschlossen. Aber sie hielt die Hände zu fest gefaltet, um sich entspannen zu können. Die Hohepriesterin runzelte die Stirn und bemerkte zum ersten Mal, wie zart Teleris Handgelenke waren. Nach dem ersten Ausbruch hatte das Mädchen keine Einwände mehr gegen die Hochzeit erhoben. Sie hatte sogar gehorsam alles getan, was man von einer Tochter der heiligen Insel erwarten konnte. Dierna hatte geglaubt, Teleri habe sich mit ihrem Schicksal ausgesöhnt, aber jetzt fragte sie sich besorgt, ob die vielen Vorbereitungen sie nicht daran gehindert hatten, sich eingehender nach Teleris wahren Gedanken und Gefühlen zu erkundigen.
»Teleri ... « sagte sie leise und sah, wie die Lippen der jüngeren Frau zuckten. »Wir besitzen jetzt beide die Fähigkeit, im Wasser zu sehen. Du wirst dich jeden Abend vor deine Schale setzen und nach Visionen Ausschau halten, damit du weißt, was in Britannien geschieht. Ich werde dir Bilder schicken, und bald wirst du selbst alles sehen, was dir wichtig ist. Du kannst das Wasser aber auch benutzen, um Nachrichten zu schicken. Wenn du in Trance bist und dich gut vorbereitet hast, wenn dein Wille stark genug ist, dann kannst du mich jederzeit erreichen. Wenn etwas geschieht ... wenn du in Not geraten solltest, rufe mich, und ich werde zu dir kommen.«
Teleri antwortete, ohne die Augen zu öffnen. »Drei Jahre bin ich auf Avalon gewesen. Ich hatte erwartet, zur Priesterin geweiht zu werden und nicht als Braut zu meiner Hochzeit zu fahren. Es war ein schöner Traum. Jetzt werde ich in die Welt gestoßen. Du hast mir versichert, daß ich einen guten Mann bekomme. Mein Schicksal ist nicht schlimmer als das jeder beliebigen Tochter einer adligen Familie. Ich glaube, es ist besser, wenn ich die Aufgaben klar voneinander trenne.«
Dierna seufzte. »Du hast recht, aber vergiß nicht, du warst
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