Die Herrin von Avalon
ist bei den Römern von größter Bedeutung. Ich meine, du mußt die Braut von Carausius werden.«
Teleri zuckte zusammen. Sie dachte unwillkürlich und voll Entsetzen an den abstoßenden Piraten, der sie hatte vergewaltigen wollen. Dann konnte sie die Übelkeit nicht länger zurückhalten. Sie klammerte sich an den Rand der Sänfte, schob die Vorhänge beiseite und übergab sich. Teleri hörte, wie Dierna den Sklaven befahl anzuhalten. Als sich ihr Magen entleert hatte, konnte sie wieder atmen.
»Steig aus«, sagte die Hohepriesterin ruhig. »Dort unten ist ein Bach. Du kannst dich waschen und etwas Wasser trinken. Danach wird es dir bessergehen.«
Teleri ließ sich von den Sklaven aus der Sänfte helfen und wurde verlegen, weil sie die erstaunten Blicke der anderen Priesterinnen auf sich gerichtet sah.
»Geht es dir wieder gut?« fragte Dierna, als sie nach einer Weile zurückkam.
Teleri nickte. Das Wasser hatte ihr geholfen. Außerdem tat es gut, wieder festen Boden unter den Füßen zu haben. Der Wind fuhr ihr durch die feuchten Haare und kühlte ihre heiße Stirn.
»Das, wovon du gesprochen hast ... « erklärte sie leise. »Ich kann es nicht tun. Ich bin nach Avalon gekommen, weil ich der Göttin dienen möchte. Außerdem weißt du sehr genau, warum ich mich keinem Mann hingeben kann.«
Dierna seufzte. »Als man mich zur Hohepriesterin wählte, wollte ich davonlaufen.
Ich war zum ersten Mal schwanger und wußte, welches Schicksal mir bevorstand. Es würde mir nie erlaubt sein, eine richtige Mutter für mein Kind zu werden, denn alles in meinem Leben mußte sich fortan dem Wohl Avalons unterordnen. Eine ganze Nacht lang lag ich allein im Sumpf und weinte, während die Nebel mich einhüllten. Es dauerte lange, aber dann wurde mir klar, daß sich andere um meine Kinder würden kümmern können, daß aber niemand außer mir die Pflichten der Herrin von Avalon erfüllen konnte. Ich trauerte um das einfache Glück, das mir nicht vergönnt war, doch noch mehr fürchtete ich die Schuld, die auf mir lasten würde, wenn ich meine Aufgabe der Göttin gegenüber ablehnte. Ich hatte den Eindruck, der Tod sei erstrebenswerter als das ... «
Dierna schwieg und überließ sich ihren Erinnerungen. Nach einer Weile fuhr sie fort.
»Kurz vor Sonnenaufgang, als ich keine Tränen mehr zu vergießen hatte, empfand ich eine Wärme wie in den Armen einer Mutter. In diesem Augenblick wußte ich, daß mein Kind alle Liebe bekommen würde, die es brauchte, denn die Göttin würde über mein Kind wachen. Ich wußte auch, daß ich nicht fürchten mußte, jene zu enttäuschen, die mir vertrauten, weil SIE auch durch mich wirken würde.«
Dierna sah Teleri ernst an. »Deshalb bitte ich dich, zu tun, was ich dir vorgeschlagen habe, Teleri. Ich weiß, es wird nicht leicht für dich sein. Wenn wir in Avalon den Eid ablegen, dann versprechen wir der Göttin, IHR so zu dienen, wie SIE es will, und nicht wie wir es uns wünschen. Glaubst du, ich hätte dich nicht lieber an meiner Seite und könnte deine Entwicklung erleben?« Dierna breitete die Arme aus. Teleri wich nicht vor ihr zurück. Die Hohepriesterin drückte die jüngere Frau fest an sich und sagte leise: »Die Vorzeichen sind so deutlich, daß wir uns dem Gebot der Göttin nicht verschließen können. Britannien braucht diesen Mann, aber er ist so von den Dingen des Alltags in Anspruch genommen, daß er darüber die Weisheit seiner Seele vergißt. Du mußt für ihn die Göttin sein und ihm helfen, zu sich zu finden. Er muß durch dich lernen, die Augen zu öffnen!«
Diernas Stimme versagte, und Teleri sah, daß die Hohepriesterin sie wirklich liebte. Wieder einmal trennte das Schicksal sie in Erfüllung der Pflicht, die Dierna daran gehindert hatte, ihr eigenes Kind großzuziehen.
»Die Göttin ist grausam, uns auf diese Weise zu benutzen!« rief sie.
»SIE tut nur das, was SIE tun muß, denn es geht um das Wohl aller ... « flüsterte die Hohepriesterin. »Und wenn wir IHR dienen wollen, müssen wir ebenso handeln.«
Dierna umarmte sie noch einmal.
Nach einer Weile spürte Teleri Tränen auf den Wangen. Sie wußte nicht, ob die Herrin von Avalon weinte, ob der Himmel den ersehnten Regen schickte oder ob es die eigenen Tränen waren.
12. Kapitel
Das Getreide war zu Garben gebunden und das Heu zu Puppen aufgestellt. Der Erntefrieden lag über dem Land. Die Felder von Avalon bildeten ein goldenes Muster.
Das ist ein gutes Omen, dachte Dierna, als sich der Nebel hinter
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