Die Herrin von Avalon
üblich ist, um ihre Hand angehalten hast.«
Teleri wird Avalon nicht verlassen wollen , dachte die Hohepriesterin. Doch auch sie würde begreifen, daß es eine besondere Auszeichnung war, die Gemahlin eines so mächtigen Mannes zu werden. Unwillkürlich fiel ihr Blick auf die breiten Schultern des Navarchen. Sie sah die starken, fähigen Hände, und ihr Herz schlug schneller. Sie hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, ihm in der Nacht der Beltanefeuer zu begegnen ...
Teleri jedoch war jünger und schöner. Dierna mußte ihre Aufgaben auf Avalon erfüllen, und Carausius würde mit Teleri glücklicher sein.
Wolken zogen am Himmel auf. Teleri trocknete sich mit dem Schleier den Schweiß von der Stirn und atmete langsam und tief. Das Schaukeln der Sänfte, die sie nach Venta Belgarum zurückbrachte, bereitete ihr eine gewisse Übelkeit. Die drückende Hitze war unangenehm. Aber es würde noch schwüler werden, bevor sich das aufziehende Gewitter mit Regen entladen konnte.
Auf dem Rückweg war sie zu ihrer großen Freude mit Dierna zusammen. Sie warf einen Blick auf die Hohepriesterin, die gelassen neben ihr saß. Sie hatte die Augen geschlossen und dachte nach.
Als sie Portus Adurni verließen, war Teleri glücklich. Endlich kehrten sie nach Avalon zurück. Aber je länger Dierna schwieg, desto unruhiger wurde sie.
Vor Clausentum mußten sie einem Trupp Soldaten ausweichen. Die Legionäre schütteten die Straße auf und pflasterten den Weg mit Steinen. Von da an war der Belag in gutem Zustand, und sie kamen schneller vorwärts. Das schien die Hohepriesterin endlich zu sich zu bringen. Sie schlug die Augen auf.
Teleri wollte etwas sagen, aber Dierna kam ihr zuvor.
»Du bist jetzt über ein Jahr bei uns in Avalon. Bald wirst du soweit sein und kannst dein Gelübde ablegen. Bist du bisher zufrieden bei uns gewesen?«
Teleri sah sie verwundert an. »Zufrieden?« wiederholte sie schließlich. »Avalon ist mein Zuhause. Ich kannte keine Zufriedenheit, bis du mich auf die heilige Insel geholt hast!«
Dierna nickte, aber ihre Augen blieben seltsam leer.
»Ich habe soviel gelernt, wie ich nur konnte«, erklärte Teleri. »Sind die Priesterinnen mit mir nicht zufrieden?«
Dierna sah sie freundlich an. »O doch, das sind sie alle. Du hast große Fortschritte gemacht.« Sie schwieg wieder. Dann sagte sie: »Als wir das Gelände der neuen Festung geweiht haben, was hast du da gesehen?«
Teleri schloß kurz die Augen und lenkte das Bewußtsein zurück auf das geebnete Gelände. Sie dachte an die Fackeln und an die Sterne.
»Ich denke, wir haben die Kraft beschworen. Meine Haut hat geprickelt ... « Sie sah die Hohepriesterin unsicher an.
»Und der römische Befehlshaber ... ich meine, Carausius? Was hältst du von ihm?«
»Er wirkt stark ... fähig ... und ich halte ihn für liebenswürdig«, erwiderte sie nachdenklich. »Es hat mich überrascht, als du zum Segen sein Blut gefordert hast.«
»Ihn auch ... « Dierna lächelte. »Als ich mich vor der Sommersonnwende in die Einsamkeit zurückgezogen habe, ist er mir in meinen Visionen aufgefallen.« Die Hohepriesterin erzählte ihr die Geschichte. »Er ist der Adler, der uns retten wird. Er ist der Auserwählte, der uns verteidigen soll«, schloß sie dann. »Ich habe ihm ein Bündnis mit Avalon angeboten.«
Teleri runzelte die Stirn. Carausius wirkte nicht gerade wie ein Held. Außerdem war er nicht mehr der Jüngste.
Dierna fuhr fort: »Die Göttin gewährt uns diese Möglichkeit. Dieser Mann, auch wenn er nicht aus unserem Volk stammt, hat eine sehr alte Seele. Allerdings ist er sich dessen nur verschwommen bewußt. Er braucht jemanden, der ihn daran erinnert und die Verbindung mit Avalon herstellt ... «
Die Übelkeit, mit der Teleri kämpfte, schien sie plötzlich zu überwältigen.
Dierna griff nach ihrer Hand. »Es ist nicht das erste Mal, daß eine Jungfrau, die in Avalon ausgebildet wurde, einem König oder einem Befehlshaber zur Frau gegeben wird, um ihn mit den Mysterien zu verbinden. Als ich ein Mädchen war, verheiratete man Eilan, eine Prinzessin der Demeten, die Römer nannten sie Helena, mit Constantius Chlorus. Aber Rom berief ihn aus Britannien ab. Jetzt bietet sich erneut ein Bündnis mit den Römern an.«
Teleris Mund war trocken, und sie flüsterte tonlos: »Warum erzählst du mir das alles?«
»Weil du die hübscheste und begabteste unserer Jungfrauen bist. Du hast deine Gelübde noch nicht abgelegt, du bist von hoher Herkunft, und das
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