Die Herrin von Avalon
unter den Spannungen zwischen den beiden Männern.
Die Priesterin von Sulis forderte sie auf, in das heiße Wasser zu steigen, das ebenfalls aus der Quelle floß, aber von einem Hypocaust erhitzt wurde. Teleri nahm die Hitze den Atem, aber Dierna ging ohne Zögern in das Becken, als sei es das kalte Wasser von Avalon. Teleri biß die Zähne zusammen und zwang sich, ihr zu folgen. Eine Zeitlang konnte sie nur an die Reaktionen des Körpers denken. Ihr Herz klopfte schneller, und Schweiß begann aus allen Poren zu fließen.
Als sie schon glaubte, in Ohnmacht zu fallen, erschien die Priesterin und führte sie aus dem Becken heraus in das Caldarium. Das kalte Wasser schien plötzlich überhaupt nicht kühl zu sein. Die Haut begann zu prickeln, das Blut strömte durch die Adern, und das Atmen fiel wieder leicht. Danach durften sie in das große Becken zurückkehren. Der Wechsel von heiß und kalt wirkte anregend, machte aber auch sehr müde. Diesmal fiel es ihr nicht schwer, sich der wohltuenden Wirkung des Wassers zu überlassen und alle belastenden Gedanken beiseite zu schieben.
»Das ist der Leib der Göttin«, flüsterte Dierna. »Die Römer nennen sie Minerva, aber alle, die vor ihnen hierherkamen, nannten sie Sulis. Mir zeigt SIE sich als Briga, als die Göttin des Landes. Wenn ich in diesem Wasser liege, kehre ich zu meinem Ursprung zurück und fühle mich erneuert.« Sie lächelte. »Ich danke dir, Teleri, daß ich dich hierher begleiten durfte.«
Teleri wandte sich ihr mit hochgezogenen Augenbrauen zu. Doch sie sagte sich, die Hohepriesterin habe auf ihre höfliche Bemerkung eine Antwort verdient. »Keine Ursache, das ist doch selbstverständlich. Leider habe ich keine so erhebenden Gedanken wie du, aber ich finde hier Frieden.«
»Auch in Avalon gibt es Frieden. Es tut mir inzwischen leid, daß ich dich weggeschickt habe. Gewiß, ich hatte einen guten Grund dafür, aber es war ein schweres Schicksal für jemand, der meinem Wunsch nur unwillig folgte.« Nach kurzem Schweigen fügte sie hinzu: »Ich hätte nach einer anderen Lösung suchen müssen.« Dierna lag in dem grünlichen Wasser. Ihre langen Haare umflossen in bronzenen Locken das Gesicht und die vollen Brüste, deren Warzen nach den Geburten dunkel geworden waren.
Teleri richtete sich auf. Sie glaubte, nicht richtig gehört zu haben. Drei Jahre ihres Lebens hatte sie geopfert, und jetzt erklärte ihre Lehrerin, es sei nicht unbedingt notwendig gewesen.
»Du hast mir gesagt, das Schicksal Britanniens hänge von meiner Bereitschaft zu der Ehe mit Carausius ab. Was für eine andere Lösung hätte es geben können?«
»Es war falsch, dich durch eine Heirat zu binden, wie sie nach den römischen Gesetzen geschlossen wird.« Dierna erhob sich. Das Wasser tropfte aus ihren langen Haaren. »Ich wußte damals noch nicht, daß Carausius ein König werden sollte, der sich auf die alte Weise mit einer Auserwählten der Göttin vereinen mußte.«
»Es ist geschehen und läßt sich nicht mehr ändern ... « erwiderte Teleri, aber die Hohepriesterin schüttelte den Kopf.
»Nein, jetzt ist es noch wichtiger, den Imperator an das alte Wissen zu binden, da er in Versuchung geraten ist, andere Wege zu gehen. Du mußt ihn nach Avalon bringen, Teleri. Wir werden dort das Ritual vollziehen.«
Teleri sprang so schnell auf, daß das Wasser Wellen schlug. »Ich werde nicht kommen!« rief sie außer sich. »Bei der Göttin dieser heiligen Quelle, das schwöre ich! Du hast mich aus Avalon verbannt. Ich werde nicht plötzlich zurückkehren, nur weil du es dir anders überlegt hast. Du kannst Carausius mit jedem Zauber, der dir zu Gebote steht, an dich binden! Aber die Erde muß beben und der Himmel einstürzen, bevor ich zu dir zurückkomme!«
Sie stieg aus dem Becken. Die Sklavinnen hüllten sie in große Tücher. Teleri spürte Diernas Blick im Rücken, aber sie drehte sich nicht noch einmal um.
Als Teleri am nächsten Morgen erwachte, waren die Wälder und Hügel um Aquae Sulis plötzlich zu einer Art Gefängnis für sie geworden. Sie wurde von Heimweh erfaßt und sehnte sich nach den grasbewachsenen Hügeln von Durnovaria und nach dem Meer.
Beim Frühstück teilte man ihr mit, daß die Herrin von Avalon abgereist sei. Im ersten Moment empfand sie ein schmerzliches Gefühl des Verlusts. Dann erinnerte sie sich daran, was vorgefallen war, und fühlte sich erleichtert.
Noch vor dem Essen am Mittag verkündeten Trompetenstöße einen anderen Besucher. Es war
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