Die Herrin von Avalon
hatte ihm die Königswürde in der anderen Welt verliehen. Vielleicht war Eilantha bei ihrem Vater sicher aufgehoben, denn in dieser Welt hatte ihre Mutter versagt. Vivianes kleine Tochter hatte nur drei Monate gelebt. Am Ende war sie kaum größer gewesen als Igraine am Tag ihrer Geburt.
Vivianes volle Brüste schmerzten, und Milch tropfte von ihnen herab, wie die Tränen aus ihren Augen. Sie schlang fröstelnd die Arme um sich. Sie hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Kräuter zu suchen, die das Fließen der Milch unterbunden hätten. Die Zeit würde das nur allzu schnell für sie tun. Bis dahin waren ihr die Schmerzen willkommen.
Ob mit der Zeit auch die Tränen aufhören werden zu fließen?
Sie hörte Schritte auf dem Weg, blickte hoch und rechnete damit, den Einsiedler zu sehen, der die Kapelle auf dem Hügel betreute. Er war kein Vater Fortunatus, aber auch keiner der Mönche, die alle Frauen für Werkzeuge des Teufels hielten. Er war gut zu ihr gewesen, soweit er es vermochte. Die Sonne stand hinter ihm, und sie sah nur eine große Gestalt. Etwas an der Silhouette erinnerte sie an den Gehörnten, und sie erstarrte. Als die Gestalt sich bewegte, wußte sie, daß es Taliesin war.
Sie ließ den Kopf auf die Brust sinken.
»Es tut mir leid, daß ich die Kleine nie gesehen habe«, sagte er leise. Viviane blickte in sein erschöpftes Gesicht und fühlte, daß er die Wahrheit sprach.
»Die Frauen in Herons Dorf sagen, sie sei ein Wechselbalg gewesen«, erwiderte Viviane. »Als Eilantha krank wurde, behaupteten sie alle, die Fee habe mein Kind mit ihrem eigenen vertauscht, als ich nach der Geburt schlief. Und das Kind der Fee sei krank gewesen.«
»Glaubst du das?« fragte er sanft.
»Die Feen bekommen selten Kinder. Aber möglich ist es. Die Fee wußte von meinem Kind. Sie hat dem Jäger gesagt, wo er mich finden würde. Ich war nach der Geburt zu erschöpft, um einen wirksamen Schutz zu beschwören, und wir waren allein.«
Ihre Stimme klang in den eigenen Ohren kalt. Taliesin sah sie eigenartig an. Die Dorfbewohner hatten sich gefürchtet, mit ihr über das Kind zu sprechen. Aber das war nicht wichtig. Seit Eilantha tot war, konnte sich Viviane kaum noch etwas vorstellen, das wichtig gewesen wäre.
»Quäle dich nicht mit solchen Gedanken, Viviane. In einem Jahr wie diesem sind viele Kinder gestorben, die sicher und warm zu Hause geboren worden waren.«
»Und was ist mit meinem Bruder, dem zukünftigen Helden, der Britannien gegen alle seine Feinde verteidigen wird?« fragte sie bitter. »Trinken sie in Avalon schon auf seine Gesundheit? Oder ist es wieder eine Tochter, die Ana jetzt Igraine vorziehen kann?«
Taliesin zuckte zusammen, aber sein Gesichtsausdruck veränderte sich nicht. »Das Kind ist noch nicht geboren.«
Viviane rechnete zurück bis Samhain. Ihr eigenes Kind war zu früh geboren worden, aber Anas war mit Sicherheit überfällig.
»Du solltest bei ihr sein und ihr die Hand halten. Für mich kannst du nichts mehr tun ... «
Er senkte den Blick. »Ich wäre zu dir gekommen, meine Tochter. Aber Heron hat gesagt, du wolltest nicht gestört werden.«
Sie zuckte die Schultern. Das stimmte. Aber es hatte Zeiten gegeben, wo sie ihn gebraucht hätte. Sie war der Ansicht, wenn die Druiden so klug wären, wie sie glaubten, dann hätte er wissen müssen, daß sie sich über seinen Beistand mehr als gefreut hätte.
»Deine Mutter läßt dich rufen, Viviane ... «
»Was, schon wieder?« Sie begann zu lachen. »Ich bin eine erwachsene Frau. Du kannst ihr sagen, daß ich mich nie wieder ihrem Willen beugen werde.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich habe mich falsch ausgedrückt. Ich überbringe dir keinen Befehl, sondern eine Bitte.« Plötzlich war seine Gelassenheit verschwunden. »Sie liegt seit zwei Tagen in den Wehen!«
Meine Mutter wird nicht sterben .
Ana war die Herrin von Avalon, die mächtigste Frau in Britannien. Wie der Tor war sie, geliebt oder gehaßt, eine Reibungsfläche und das Fundament, auf dem Viviane ihre eigene Persönlichkeit aufgebaut hatte.
Ein Blick auf Taliesin machte sie jedoch unsicher, und damit meldete sich der Teil ihres Wesens zu Wort, den sie mit Eilantha begraben zu haben glaubte. Der andere Teil von ihr, der auf schmerzhafte Weise gelernt hatte, wie eine Priesterin zu denken, sagte ihr, es sei nur allzugut möglich, daß Ana diese Geburt nicht überleben werde. Taliesin hatte unverkennbar Angst.
»Ich konnte nicht einmal mein eigenes Kind am Leben
Weitere Kostenlose Bücher