Die Herrin von Avalon
schmecken würde, könnte ich es nicht bei mir behalten.«
Sie fand, ihre Mutter wirke gut genährt. Die schlaffen Brüste waren durch die Schwangerschaft wieder voller geworden. Obwohl ihr Leib sich gerundet hatte, war sie noch nicht so unbeholfen wie Viviane, die sich wie ein Faß auf zwei Beinen vorkam.
»Wir werden sehen, was sich tun läßt, um dir zu helfen«, begann Ana.
Viviane schüttelte den Kopf. »Du hattest keine Zeit, als Igraine krank war. Warum solltest du dir meinetwegen die Mühe machen.«
Anas Gesicht wurde glühend rot. Trotzdem erwiderte sie ruhig. »Sie hat nach dir verlangt, und ich habe Julia gepflegt. Die Göttin weiß, in diesem schrecklichen Frühling hatten wir alle genug zu tun.«
»Nun ja, wir können uns nicht beschweren und behaupten, wir wären nicht gewarnt worden. Wie befriedigend die Gewißheit für dich sein muß, daß du ein zuverlässiges Orakel bist.« Viviane verstummte. Sie war entsetzt über ihre Gehässigkeit, aber sie konnte sich vor Erschöpfung nicht mehr beherrschen.
»Das alles ist furchtbar«, fauchte ihre Mutter. »Wem sage ich das? Du solltest es eigentlich wissen! Aber du bist krank und weißt nicht, was du redest.«
»Vielleicht bin ich auch einfach so müde, daß es mir gleichgültig ist«, erwiderte Viviane. »Geh, Mutter, sonst werden wir beide meine Worte noch bedauern.«
Ana sah sie lange an und setzte sich dann. »Viviane, was ist zwischen uns nur falsch gelaufen? Wir tragen neues Leben in uns. Wir sollten uns zusammen freuen und nicht versuchen, uns gegenseitig das Leben schwerzumachen.«
Viviane richtete sich auf und rieb sich den Rücken. Sie wurde zunehmend ungeduldiger. Kein Mensch außer ihrer Mutter hatte es je vermocht, sie so zu reizen.
»Zusammen? Ich bin deine Tochter, nicht deine Schwester. Du solltest dich darauf freuen, Großmutter zu werden, und nicht selbst noch ein Kind bekommen. Du hast mir vorgeworfen, eifersüchtig zu sein. Aber ist es nicht umgekehrt? Sobald du von meinem Glück wußtest, bist du selbst schwanger geworden!«
»Deshalb habe ich nicht ... « begann Ana.
»Ich glaube dir nicht!«
»Ich bin die Herrin von Avalon, und niemand zweifelt an meinem Wort! Du warst ein ungehorsames Mädchen, das man nie zur Priesterin hätte machen sollen.« Anas Augen hatten sich verdunkelt. Sie schien größer zu werden, als sie ihrem Zorn ebenfalls freien Lauf ließ. »Wieso glaubst du, du könntest eine gute Mutter sein? Sieh dich doch an! Selbst in meinem Alter bin ich in einem besseren Zustand als du. Wie willst du ein gesundes Kind zur Welt bringen?«
»Wie kannst du das behaupten? Was bildest du dir eigentlich ein!« schrie Viviane, die aus Anas Mund ihre eigenen Befürchtungen hörte. »Willst du mir etwas Schlechtes wünschen, wo es bald soweit ist? Oder hast du es vielleicht schon getan?
Hat es dir nicht gereicht, all die Fürsorge und das Mitgefühl der anderen zu bekommen? Hast du die Kraft, dein Kind auszutragen, mir entzogen?«
»Du bist verrückt! Wie könnte ich ... «
»Du bist die Herrin von Avalon! Woher weiß ich, welche Mittel du kennst? Aber ich weiß, sobald du das Kind empfangen hattest, begann ich schwach zu werden und zu kränkeln. Du hast dich dem Gehörnten hingegeben. Welche Kräfte verleiht ER einer Frau, die SEIN Kind im Leib trägt?«
»Du beschuldigst mich, meinen Schwur gebrochen zu haben?« Ana wurde bleich.
»Oh, ich bin sicher, du hast es nur in bester Absicht getan. Du würdest jeden und alles deiner Vorstellung von dem opfern, was du für den Willen der Götter hältst! Aber ich habe auch einen Schwur geleistet, Mutter. Mich wirst du nicht opfern, und du wirst meinem Kind nicht schaden!«
Der Wutausbruch ließ sie alle Schmerzen vergessen. Ana erwiderte etwas, aber sie hörte es nicht. Bebend vor Zorn riß Viviane ihren Umhang vom Haken, stürmte hinaus und warf die Tür hinter sich zu.
Sie war schon einmal davongelaufen. Aber bei diesem Hochwasser war Avalon mehr Wasser als Land. Viviane stieg in das erste Boot, das sie fand, und stieß sich mit der Stange vom Ufer ab. Die Schwangerschaft machte sie ungeschickt. Es fiel ihr überraschend schwer, das Gleichgewicht zu halten und zu staken. Doch sie gab nicht auf. Sie hatte in der Vergangenheit oft genug Kranke in Herons Dorf gepflegt. Man würde sie dort aufnehmen.
Es regnete nicht richtig, doch über dem Marschland hing tiefer Nebel. Der Wind war feucht und kalt. Er kühlte den Schweiß auf Vivianes Gesicht. Sie befand sich nicht in der
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