Die Herrin von Avalon
Christus sein.«
»Du hast keine Einwände, daß sie der alten Gottheit dienen?« fragte Caillean.
Einer der Druiden stand mit seiner Harfe neben dem Feuer. Gawen setzte sich neben ihn und wandte den Blick nicht von den geschickten Händen, die über die Saiten glitten.
»Ich habe nichts dagegen, daß sie bei uns ausgebildet werden. Ich weiß, daß ihr gute Menschen seid.« Vater Joseph seufzte. »Leider ist Bruder Paulus nicht meiner Meinung. Er ist neu bei uns und glaubt, daß wir sogar hier am Ende der Welt alle zu unserem Glauben bekehren müssen.«
»Ich habe das gehört«, erwiderte Caillean mit hochgezogenen Augenbrauen. »Ist er nicht auch der Ansicht, daß jeder Mönch, der es zuläßt, daß auch nur ein Heide auf der Welt ist, seine Pflicht nicht erfüllt, die ihm vorschreibt, alle Menschen zu eurem Glauben zu bekehren? Muß ich Gawen also verbieten, zu euch zu gehen? Ich möchte nicht, daß er ein Nazarener wird.«
»Paulus glaubt das«, antwortete Vater Joseph. »Aber das ist nicht mein Glaube. Ein Mann, der seinem ersten Glauben untreu ist, wird vermutlich auch seinem zweiten nicht die Treue halten. Das gleiche gilt für eine Frau.« Er lächelte. »Ich habe die größte Achtung vor allen, die deinem Glauben angehören.«
Caillean nickte erleichtert. Sie wußte, daß sie ihre Zöglinge Vater Joseph anvertrauen konnte.
Er legte den Kopf schief und sah sie prüfend an. »Habe ich recht gehört oder hast du dem Mädchen nicht anheimgestellt, die Entscheidung selbst zu treffen? Im Grunde wird auch der Junge selbst bestimmen müssen, welchem Glauben er angehören will.«
»Du hast natürlich recht. Manchmal vergißt man, daß die Freiheit der Entscheidung für alle Seiten gilt. Es geht dabei nicht nur um meinen Willen oder den des Jungen, sondern auch um den Willen der Götter ... «
Sie reichte Vater Joseph die Hand. »Ich muß mich jetzt darum kümmern, daß Sianna ordentlich untergebracht ist. Ich danke dir für dein freundliches Angebot. Gawen ist für uns von großer Bedeutung.«
»Es ist mir eine Ehre, ihm zu helfen«, sagte Vater Joseph. »Auch ich möchte mich verabschieden. Wir stehen vor Sonnenaufgang auf, um unseren Herrn zu ehren. Dann werde ich meine Entscheidung Bruder Paulus erklären. Ich weiß, er meint, ich sei den Heiden gegenüber viel zu nachsichtig. Aber von IHM habe ich gelernt, daß die Wahrheit Gottes wichtiger ist als die Worte der Menschen. Außerdem entspringen ohnedies alle Religionen einer einzigen Wurzel.«
Caillean sah ihm in die Augen, und plötzlich hatte sie den Eindruck, durch lodernde Flammen zu blicken. Sie sah Vater Joseph, doch er war größer und in der Blüte seiner Jahre. Er trug ein weißes Gewand und ein goldenes Symbol um den Hals, aber es war nicht das Kreuz. Sie stand neben ihm und war sehr viel jünger und in dunkle Schleier gehüllt.
Und das ist die erste der ewigen Wahrheiten ... , hörte sie in ihrem Herzen eine tiefe, klangvolle Stimme. Alle Götter sind ein Gott, und es gibt keine höhere Religion als die Wahrheit ...
Die Vision schwand so schnell, wie sie gekommen war. Vater Joseph sah sie aufmerksam an und sagte nur: »Die Wahrheit wird siegen!«
Die beiden Eingeweihten lächelten.
4. Kapitel
Im zweiten Winter von Gawens Aufenthalt auf Avalon brach ein Feuer aus. Niemand wußte genau, wo der Brand begonnen hatte. Eilned behauptete, eine der jungen Priesterinnen habe am Abend zuvor die Glut in der Feuerstelle der großen Halle nicht sorgfältig genug gelöscht. Beweise gab es jedoch keine. Niemand schlief in dem langen Saal, und als die Priesterinnen aus dem Schlaf aufschreckten, stand das ganze Gebäude bereits in Flammen. Ein heftiger Wind entfachte das Feuer. Brennendes Schilf vom Dach flog durch die Luft und entzündete das Haus der Novizinnen.
Von dort erreichte es schnell die Hütten der Druiden auf der anderen Seite des Tors. Gawen erwachte, weil Brannos hustete. Zuerst dachte er, der alte Barde werde von den Anfällen gequält, bei denen er oft stundenlang nach Luft rang. Als Gawen sich aufrichtete, roch er jedoch den Rauch und mußte selbst husten. Er sprang aus dem Bett und war mit einem Satz an der Tür.
Draußen liefen vor einer tosenden Feuerwand aufgeregt dunkle Gestalten durch die Nacht. Die heiße Luft fuhr ihm durch die Haare, Schweiß trat ihm auf die Stirn, um ihn herum fielen zischend glühende Funken in das reifbedeckte Gras.
»Brannos!« rief er erschrocken und drehte sich um. »Steh auf. Es brennt!«
Gawen besaß
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