Die Herrin von Avalon
Mynoc beschäftigt sich mehr damit, die Befestigungsanlagen seiner Stadt zu verbessern«, erklärte Lewal, der ältere Druide, ein kräftiger Mann mit hellblonden Haaren. Er war ihr Heiler und wollte die Reise zum Anlaß nehmen, Kräuter zu kaufen, die sie auf Avalon nicht anbauen konnten.
»Dazu hat er auch allen Grund«, bemerkte einer der Freigelassenen. »Die Piraten kommen Jahr für Jahr über den Kanal und überfallen uns.«
Die junge Erdfulla trieb ihren Braunen nach dieser Bemerkung sofort etwas dichter an Diernas Pferd heran, als rechne sie damit, daß im nächsten Augenblick Piraten hinter den Bäumen hervorbrechen würden.
Sie erreichten schließlich die Anhöhe, und Dierna sah die Stadt, die auf einem Kreidefelsen hoch über dem Fluß lag. An den Stadtgraben konnte sie sich erinnern, an die Befestigungsmauer jedoch nicht. Abgesehen davon schien sich jedoch nichts Grundlegendes geändert zu haben. Der Fluß floß wie eh und je braun und träge am Fuß des Felsens dahin. Am Ufer glänzte angeschwemmter schwarzer, fruchtbarer Schlamm.
Es muß Ebbe sein , dachte sie. Im Nieselregen konnte sie das dunklere Grau in der Ferne, wo der Himmel mit dem Meer zusammenstieß, eher ahnen als erkennen. Möwen flogen kreischend über ihre Köpfe hinweg und verschwanden als dunkle Schatten in der Ebene.
Die Druiden richteten sich zufrieden im Sattel auf, und sogar die Pferde schienen das Ende der Reise zu ahnen, denn sie fielen in einen leichten Trab.
Dierna war erleichtert. Erst jetzt gestand sie sich ihre Befürchtungen ein. Der Weg von Avalon nach Durnovaria war jedesmal ein Abenteuer, bei dem alle möglichen Gefahren lauerten. In dieser Nacht würden sie jedoch hinter Eiddin Mynocs neuer Stadtmauer in Sicherheit sein, und auf sie wartete ein warmes und trockenes Lager.
Sie schob die schwere regennasse Kapuze in den Nacken und trocknete sich mit ihrem Tuch die Stirn. Wieder einmal richteten sich ihre Gedanken auf das Mädchen. Seit sie von ihr gehört hatte, wurde sie eine seltsame Erregung nicht mehr los. Freudige Erwartung und angstvolles Zurückschrecken wechselten wie Sonne und Regen in ihrer Vorstellung. Bald würde sie mehr wissen, denn das Mädchen war der Grund für den langen Ritt, und sie näherten sich dem Ziel.
Das Haus, in dem der Fürst der Durotriges wohnte, wenn er in die Stadt seines Stammes kam, war nach römischem Vorbild gebaut. Die einheimischen Handwerker hatten die Wände mit den Darstellungen der eigenen Mythologie geschmückt, allerdings im römischen Stil. Der Einrichtung fehlte jeder Sinn für Stil, aber eine Vorliebe für Bequemlichkeit war unverkennbar. Auf den kalten Steinfliesen in der Kammer, die man den Priesterinnen gegeben hatte, lagen dicke gestreifte Wollteppiche, wie sie in dieser Gegend üblich waren. Nach der langen Reise war der weiche Flor eine Wohltat für die kalten Füße. Auf der Liege entdeckte Dierna eine Decke aus zusammengenähten Fuchsfellen. Hätte sie der Versuchung nachgegeben und sich unter diese Decke gelegt, wäre es ihr wahrscheinlich nicht gelungen, noch einmal aufzustehen.
Die beiden Frauen hatten bereits die Reithosen und die Tunika abgestreift, als die Sklaven warmes Wasser zum Waschen brachten. Sie würden am Abend das weite blaue Gewand der Priesterinnen von Avalon tragen und dazu ein langes Umschlagtuch über den Schultern. Die kleine Sichel am gewebten Gürtel war der einzige Schmuck, aber die Gewänder waren aus sehr dünn gewebter dunkelblauer Wolle. Das Spinnen und Färben der Wolle war ein Geheimnis der heiligen Insel.
Dierna griff nach dem Bronzespiegel und schob eine vorwitzige Locke unter die aufgesteckten Zöpfe ihrer dichten Haare. Dann legte sie das Umschlagtuch so über die Brust, daß das lose Ende über den Rücken fiel. Kleidung und Frisur waren einfach, aber die weiche, dünne Wolle umfloß den Körper in unnachahmlicher Schönheit. Im faszinierenden Gegensatz zu dem tiefen Blau schienen die von der Nässe noch mehr gelockten Haare wie Flammen zu leuchten.
Dierna sah Erdfulla an, die sich noch immer mit ihrem Umschlagtuch abmühte, und lachte leise. »Ich glaube, wir müssen gehen. Der Fürst wird nicht gerade erfreut sein, wenn er auf sein Abendessen warten muß ... «
Die jüngere Priesterin hob die Schultern und ließ sie seufzend wieder sinken. »Ich weiß. Aber wenn ich daran denke, daß die anderen Frauen bestickte Tuniken und goldene Halsketten tragen, komme ich mir in diesem Aufzug so ärmlich vor.«
»Ich kann deine
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