Die Herrin von Avalon
küssen, und seine Umarmung wurde stürmischer, bis er sie schließlich mit der Verzweiflung eines Ertrinkenden liebte. Danach schlief er wieder ein. Teleri lag lange wach in der Dunkelheit. Allmählich begriff sie, daß sie wieder einmal anderen erlaubt hatte, für sie die Entscheidungen zu treffen. Aber es war geschehen, und sie mußte und würde durchhalten.
Bevor sie in einen unruhigen Schlaf fiel, betete sie zur Göttin, wie sie es zuletzt als Mädchen getan hatte. Sie träumte, daß sie mutig aus der Halle ihres Vaters floh.
In Avalon mußte sich Dierna ebenfalls den Folgen ihres Tuns stellen. Zur Erntezeit wußte sie, daß ihre monatlichen Blutungen nicht als Folge von Anspannungen und Trauer ausgeblieben waren, sondern weil sie schwanger war. Während das Kind, dessen Vater Carausius war, in ihrem Leib wuchs, richtete sie ihre Aufmerksamkeit nach innen. Britannien hatte den von Avalon erwählten Kaiser abgelehnt. Jetzt sollten die neuen Machthaber sehen, wie sie ohne den Segen der heiligen Insel zurechtkamen. Dierna hatte Allectus verflucht. Alles weitere Geschehen mußte sie den höheren Mächten überlassen.
Doch einige Zeit schien es so, als hätten diese Mächte kein Interesse daran, den Verräter zu strafen.
Diernas Kind kam kurz nach Samhain zur Welt - eine Tochter mit Augen, die wie die ihres Vaters in weite Fernen blickten. Es war eine schwierige Geburt, doch die Sorge um das Kind hielt Dierna am Leben. Als der Frühling dem Sommer wich, kehrten ihre Kräfte allmählich zurück. Der Tod von Carausius jährte sich, und die Welt ging achtlos darüber hinweg. Die Hohepriesterin wartete - worauf, das konnte sie nicht sagen.
Ein weiteres Jahr verging. Britannien mochte unter der Herrschaft von Allectus nicht glücklich sein, doch niemand wagte es, sich zu laut gegen ihn auszusprechen. Er setzte seine Zahlungen an die Barbaren fort, und die sächsische Küste blieb friedlich. Was Constantius anging, so hatte er den Sieg seiner Flotte mit sehr hohen Verlusten errungen. Wie Carausius vorausgesehen hatte, kostete es Zeit und Geld, neue Transportschiffe und die zu ihrem Schutz notwendigen Galeeren zu bauen, um Britannien erneut anzugreifen.
Bald nach der Mittsommernacht kam Lina bleich und mit weit aufgerissenen Augen von ihrer Wache an der heiligen Quelle zurück. Sie hatte im heiligen Wasser Schiffe auf dem Meer gesehen - eine Flotte auf dem Weg nach Londinium, wo die britischen Schiffe sie zwar vertrieben, während andere Schiffe jedoch von einem dichten Nebel verborgen ihre Truppen in Clausentum an Land setzten. Die Vision zeigte Lina den Marsch der Römer nach Calleva und eine Schlacht, in der Allectus gefangengenommen und getötet wurde. Die zweite Flotte kehrte zurück und vertrieb seine führerlosen Legionen aus Londinium.
Während sich Constantius Chlorus im Herbst an den Huldigungen der Speichellecker in der Hauptstadt erfreute, peitschte ein eisiger Regen das Land. Im Tal von Avalon war der Tor in Wolken gehüllt, die so tief über dem Wasser hingen, daß es schien, als hätten die schützenden Nebel die Welt der Menschen für immer ausgelöscht.
Trotz des bleigrauen Himmels hatte Dierna das Gefühl, ein schweres Gewicht sei von ihr genommen. Die Priesterinnen, denen ihr Stimmungsumschwung wieder Mut machte, sprachen davon, neue Mauern um den Schafpferch zu bauen und das undichte Schilfdach der Versammlungshalle zu erneuern.
An einem Morgen kurz nach der Tagundnachtgleiche erschien die Novizin, der die Sorge für die Schafe anvertraut war, weinend in der Halle, weil ein Mutterschaf den alten Zaun durchbrochen hatte und verschwunden war. Nach einer Woche Regen hatten sich die Wolken verzogen; es nieselte nur noch, und es sah sogar aus, daß bald ein paar Sonnenstrahlen den Dunst durchdringen würden. Dierna stellte fest, daß sie nach den langen Monaten der Erschöpfung Lust auf Bewegung hatte, und sie sagte, sie werde sich selbst auf die Suche nach dem Schaf machen.
Das Gehen fiel ihr nicht leicht. Durch den Regen war das Wasser gestiegen, und manche Stellen, die üblicherweise trocken waren, hatten sich in Schlamm verwandelt. Dierna suchte sich vorsichtig ihren Weg und überlegte, was sich das dumme Tier dabei gedacht haben mochte, den Hügel zu verlassen. In der aufgeweichten Erde war die Spur leicht zu erkennen. Dierna folgte ihr oberhalb der heiligen Quelle um den Hügel herum und durch die Obstwiesen nach unten. Von dort führte sie am Ufer entlang zum niedrigen Hügel der Briga,
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