Die Herrin von Avalon
Städte und Dörfer. Aurelia sprach von einem neuen Herrscher, den die Männer Großkönig Vortigern nannten. Wie Allectus war er von altem Blut, aber wie Carausius brachte er sächsische Krieger vom anderen Ufer des Meeres ins Land, um sein Volk zu schützen.
Ich versuchte, den Fluß der Bilder anzuhalten, denn ich wollte wissen, welche Rolle Avalon in dieser fremden Zukunft spielen werde.
Aurelia antwortete mit einem unverständlichen Aufschrei, denn Visionen ergriffen von ihr Besitz, die zu wirr waren, um sie verstehen zu können. Teleri und ich handelten schnell. Wir brachten sie wieder zu sich, denn sie war in der Tat sehr weit in die Welten der Zukunft vorgedrungen.
Aurelia schläft jetzt, und da sie jung und gesund ist, wird sie ihre Kraft und das innere Gleichgewicht wiederfinden. Mein Friede aber ist dahin, denn die Bilder, die sie gesehen hat, leben in meinem Bewußtsein.
Ich habe Angst um die Priesterinnen, die nach uns auf dieser heiligen Insel leben werden, wenn das ganze Land die Göttin, IHRE Werke und IHRE Weisheit ablehnt.«
DIE TOCHTER
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17. Kapitel
Ein harter Frost hielt ganz Britannien in seinem eisigen Griff. Bis Samhain waren es noch zehn Tage. Der letzte Sturm hatte dem Land alle Farben geraubt und Eisränder in jeder Karrenspur hinterlassen. Es wehte ein schneidend kalter Wind. Selbst auf den geraden römischen Straßen war das Fortkommen schwierig. Die vom Festland durch einen schmalen Kanal getrennte Insel Mona lag erstarrt im erzwungenen Frieden des allmächtigen Winters. Ihre Bewohner hatten deshalb seit vielen Tagen keine Fremden gesehen.
Als die kleine Viviane aus der Tür des Kuhstalls blickte, war sie deshalb überrascht zu sehen, wie jemand in den Weg einbog, der zum Gehöft führte. Der Fremde saß auf einem großen, hageren Maultier, das bis zum Bauch mit Schlamm bespritzt war. Seine Gestalt verschwand in Umhängen und Schals, so daß sie nichts erkennen konnte außer den Beinen. Die waren mit einer so dicken, vereisten Schlammkruste überzogen, daß die Hosenbeine wie erstarrte Lehmklumpen wirkten. Viviane blickte jedoch genauer hin, denn im ersten Augenblick glaubte sie, den Mann zu kennen. Aber das konnte natürlich nicht sein.
Sie bückte sich schnell, griff nach dem schweren Milcheimer und machte sich auf den Weg zum Haus. Das Eis, das sich in den Pfützen gebildet hatte, knirschte unter ihren Füßen.
»Pa, da kommt ein Mann, ein Fremder!«
Sie hatte die unverkennbare Aussprache des Nordens, obwohl sie im Sommerland geboren worden war. Ihr Stiefbruder hatte einmal behauptet, sie komme sogar von einem noch seltsameren Ort, von einer Insel, die Avalon heiße und eigentlich überhaupt nicht zu dieser Welt gehöre. Ihr Vater hatte ihm verboten, darüber zu reden. Viviane glaubte ihrem Stiefbruder nicht, denn wie konnte ein Ort mitten im Sommerland eine Insel sein? Doch in ihren Träumen erinnerte sie sich manchmal unbestimmt an diese Insel und erwachte mit dem Gefühl, etwas verloren zu haben. Ihre wirkliche Mutter war die Herrin des Sommerlandes oder der Insel Avalon - mehr wußte sie nicht.
»Was für ein Fremder?« Neiten kam mit einem Armvoll Anmachholz aus dem Schuppen und bog gerade um die Ecke. Das Haus war aus dem grauen Stein der Insel gebaut und hatte ein steiles Reetdach, auf dem sich der Schnee meist nicht lange hielt. Es war groß genug für den Hausherrn und seine Frau, die Söhne, die darin aufwuchsen, auch für die Ziehtochter und zwei alte Sklaven.
»Er ist wegen der Kälte völlig vermummt und sieht aus wie ein Bündel Lumpen. Aber wir sehen nicht besser aus.« Sie lächelte ihren Ziehvater an.
»Ins Haus mit dir, Mädchen«, Neiten machte mit dem Brennholz im Arm eine Geste, als wolle er sie verscheuchen, »bevor die Milch zu Eis wird.«
Viviane lachte laut auf und stapfte durch die Tür. Neiten blieb draußen stehen und beobachtete, wie das Maultier auf dem Weg langsam näher kam. Viviane stellte den Eimer auf den Boden und nahm den Umhang ab. Sie hörte Stimmen und lauschte. Betoc, ihre Ziehmutter, unterbrach das Rühren im Kochtopf und hörte ebenfalls zu.
»Du bist es also!« sagte Neiten. »Welcher Wind hat dich hierher getrieben?«
»Ein Wind von Avalon, der nicht wartet, bis das Wetter freundlicher ist«, erwiderte der Fremde. Er hatte eine eigenartig tiefe Stimme, auch wenn sie von der Kälte etwas belegt klang.
Viviane erstarrte. Das dicke Kopftuch glitt von ihren dunklen Haaren.
Ein Bote aus Avalon! Kommt er von meiner
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