Die Herrin von Avalon
einzujagen, daß sie das Weite suchten, erschien ihr sehr viel einfacher, als einen Streit zwischen christlichen Gruppen zu schlichten. Sie befürchtete, daß die Fürsprache einer Avalon-Priesterin die Oberen von Vater Fortunatus nicht günstig beeinflussen werde.
»Heron, ich kann nicht mit dir gehen. Aber ich werde die Herrin von Avalon um Rat fragen. Mehr kann ich dir im Augenblick nicht versprechen.«
Viviane rechnete damit, daß die Hohepriesterin Herons Nachricht mit höflichem Bedauern beiseite schieben werde. Zu ihrer Überraschung schien das Ereignis für Ana ein Grund zu echter Besorgnis zu sein. Sie ließ den Rat der Priesterinnen rufen.
»Wir sind von Inis Vitrin getrennt, aber trotzdem besteht noch immer eine Verbindung«, erklärte Ana ernst. »Ich habe gehört, daß sie manchmal von uns träumen. Wenn christliche Fanatiker dort Angst und Zorn verbreiten, werden wir die Auswirkungen auch in Avalon spüren.«
»Was können wir tun?« fragte Sigrida.
Die Hohepriesterin nickte. »Ich denke schon seit einiger Zeit, daß Avalon mehr über die Führer der Außenwelt und ihre Wege und Ziele wissen sollte. In früherer Zeit hat die Herrin von Avalon oft die Höfe der Fürsten besucht, um sie zu beraten. Seit der Ankunft der Sachsen schien das unklug zu sein. Doch das Land ist im Augenblick so sicher wie seit vielen Jahren nicht mehr.«
»Wirst du reisen, Herrin?« fragte Julia erstaunt.
»Ich denke daran, Viviane zu schicken. Sie kann sich auf der Reise nach Vater Fortunatus erkundigen. Die Erfahrung wird nützlich für sie sein.«
Viviane runzelte die Stirn. »Ich verstehe nichts von Politik.«
»Ich will dich nicht allein schicken. Taliesin soll dich begleiten. Den Römern wirst du sagen, du seist seine Tochter. Das werden sie verstehen.«
Viviane glaubte, ihren Ohren nicht zu trauen. War das die Antwort auf die Frage, die ihr weder sie noch Taliesin jemals zu stellen gewagt hatten? Was auch immer die Gründe sein mochten, dachte Viviane, als sie ging, um Vorbereitungen für die Abreise zu treffen, Ana hatte den einzigen Begleiter gewählt, mit dem Viviane bereit war, Avalon zu verlassen.
Die Spur von Vater Fortunatus führte sie nach Venta Belgarum. Die wehrhaften Mauern der Stadt standen noch, auch wenn sie von den Angriffen der Barbaren verrußt und geschwärzt waren. Sie erfuhren, daß der oberste Stadtherr, ein Mann namens Elafius, den zu Besuch weilenden Bischof bei sich beherbergte. Es handelte sich um denselben Germanus, der sich zehn Jahre zuvor beim Kampf gegen die Pikten als so hilfreich erwiesen hatte. Bei diesem Besuch schienen sich seine Angriffe allerdings auf seine Glaubensbrüder zu beschränken. Zwei britonische Bischöfe waren von ihm abgesetzt und eine Reihe Priester eingesperrt worden, bis sie eingesehen haben würden, daß sie vom richtigen Weg abgekommen waren.
»Ganz bestimmt ist Fortunatus unter ihnen«, sagte Taliesin, als sie durch das befestigte Stadttor ritten. »Zieh den Schal über deinen Kopf, mein Kind. Vergiß nicht, du bist eine Jungfrau aus guter Familie.«
Viviane warf ihm einen spöttischen Blick zu, gehorchte jedoch. Sie hatte bereits den Streit darüber verloren, ob sie in Männerkleidern reisen dürfe. Danach hatte sie sich geschworen, wenn sie jemals Herrin von Avalon sein sollte, werde sie anziehen, wonach ihr der Sinn stand.
»Erzähle mir etwas über Germanus«, sagte sie. »Es ist zwar unwahrscheinlich, daß er mit mir sprechen wird, aber es ist gut, den Feind zu kennen.«
»Er ist ein Anhänger des Martinus, des Bischofs von Caesarodunum in Gallien, den die Christen inzwischen als Heiligen verehren. Martinus war ein vermögender Mann, der seinen ganzen Besitz verschenkte und sogar seinen Mantel mit einem Armen teilte, der keinen hatte. Germanus predigt gegen die ungleiche Verteilung des Reichtums, und das macht ihn bei den Leuten beliebt.«
»Das erscheint mir nicht schlecht«, murmelte Viviane, zog die Zügel an und lenkte ihr Pferd neben sein Maultier. Nach Lindinis und Durnovaria gewöhnte sie sich allmählich an Städte, aber Venta war die größte Stadt, die sie bisher gesehen hatte. Die Menschenmenge machte ihr Pferd unruhig, und sie wurde ebenfalls unsicher.
»Nein, aber die Masse läßt sich leichter durch Angst als durch Vernunft lenken. Deshalb sagt er den Leuten, sie werden in der Hölle brennen, es sei denn, sie haben den rechten Glauben und ihr Gott beschließt, ihnen zu vergeben. Natürlich haben nur die Priester der römischen
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