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Die Herrin von Rosecliffe

Die Herrin von Rosecliffe

Titel: Die Herrin von Rosecliffe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rexanne Becnel
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verleihen. Doch es trat sofort wieder Ruhe ein, als der Riese langsam rezitierte:
     
    Wasser kühlt ab, und Feuer brennt,
    Unten ist die Erde, oben der Himmel.
    Die Tage vergehen, die Jahreszeiten wechseln,
    Von der Geburt bis zum Tod, in Krieg und Liebe.
     
    Isolde lauschte aufmerksam und versuchte den Sinn des Textes zu ergründen. Manche Spielleute beschworen in ihren Liedern geschichtliche Erinnerungen oder Mythen herauf. Andere besangen Liebespaare und Treueschwüre auf dem Totenbett. Nur einige besonders Mutige prangerten politische und kirchliche Missstände an, wobei sie ihre Kritik natürlich nur hintergründig zu äußern wagten. Zu dieser Kategorie gehörte das seltsame Vierergespann, davon war Isolde überzeugt ohne es begründen zu können. Sie kamen viel herum, schnappten überall interessante Neuigkeiten auf und erwarben auf ihren Reisen zwangsläufig eine beachtliche Menschenkenntnis ...
    Begierig darauf, etwas über Ereignisse in der großen weiten Welt zu erfahren, rief Isolde lächelnd: »Ihr seid auf Rosecliffe sehr willkommen, Freunde. Bitte unterhaltet uns heute Abend weiter so gut wie bisher, schlaft euch dann aus und esst euch morgen früh noch einmal nach Herzenslust satt bevor ihr weiterzieht.«
    Es war der Bärtige, der ihr antwortete. »Ich halte Gandy, der seinerseits den kleinen Cidu hält. Meine Stütze ist Linus, auf dessen Händen Tillo sicher steht. Ich heiße Reevius, und wir alle sind arme fahrende Leute. Wir danken Euch für die freundliche Aufnahme und werden unser Bestes tun, damit Ihr nicht enttäuscht seid.« Seine schwarzen Augen schweiften flüchtig von einem Zuschauer zum anderen und blieben zuletzt auf Isolde haften.
    Wieder verspürte sie ein aufregendes Kribbeln im Bauch, und ein heißer Schauer lief ihr über den Rücken. Sie lehnte sich im Stuhl zurück, nickte beifällig und war halb erleichtert halb enttäuscht als Reevius endlich seinen Blick von ihr abwandte. Doch auch während die Männer sangen, spielten, neue Kunststücke vollführten und zum Schein miteinander kämpften, wobei Tillo und Gandy zur Freude des Publikums den Riesen und den großen Bärtigen besiegten, wurde Isolde das Gefühl nicht los, als wäre sie erst heute richtig lebendig geworden und hätte den langweiligen Alltagstrott hinter sich gelassen.
    Ob es den anderen auch so ging? Sie betrachtete ihre Tischnachbarn. Odo grinste breit und begleitete die Trommel des Riesen mit kräftigen Faustschlägen auf die Tischplatte. Osborn hatte sich entspannt zurückgelehnt und die Hände auf dem Bauch gefaltet. Sein Misstrauen gegenüber den Spielleuten war offensichtlich völlig geschwunden.
    Erschrockenes Geraune lenkte Isoldes Aufmerksamkeit zurück zu den Spielleuten. Gandy jagte Cidu zwischen den baumstammartigen Beinen des Riesen hin und her. Linus hob abwechselnd die Füße und drohte das winzige Paar jedes Mal zu zertrampeln. Reevius und Tillo spielten dazu eine wilde Melodie, immer schneller, wie gehetzt. Das Tamburin dröhnte, die Schellen klirrten, die Flöte schrillte ... In der Halle hielten alle den Atem an.
    Die Musik erreichte ein Crescendo, als der Zwerg das Hündchen endlich erwischte. In der nächsten Sekunde brach der Riese zusammen und begrub Gandy und Cidu unter sich,
    »O nein! «
    »Der Koloss wird sie zermalmen!«
    »Man muss ihn zur Seite wälzen! «
    Die Zuschauer sprangen erschrocken auf und schrien aufgeregt durcheinander, auch Isolde und Odo. Osborn erhob sich zwar ebenfalls, schien aber weniger besorgt als die anderen zu sein
    »Es ist ein Trick«, flüsterte er Isolde zu. »Niemand ist verletzt worden.«
    Doch ein lautes Gejammer strafte seine Worte Lügen. »0 nein! 0 nein!«, stöhnte der Riese, der immer
    noch flach auf dem Boden lag. »Ich habe sie getötet! ,Ich habe sie umgebracht! Das wollte ich nicht! «
    Reevius und Tillo rannten auf ihn zu.
    »Holt den Heiler aus dem Dorf!«, kreischte Isolde entsetzt.
    Plötzlich kroch das Hündchen aus Linus' Ärmel hervor, schüttelte sich, bellte und versuchte wieder, den eigenen Schwanz zu fangen. Dann kroch Gandy aus dem zweiten Ärmel und stieg auf den breiten Rücken des Riesen.
    »Ja, ruft den Heiler!«, rief er, »denn ich befürchte, dass wir den armen Linus zerquetscht haben! «
    Erleichtertes Gelächter erfüllte die Halle. Das Publikum klatschte, trampelte mit den Füßen und klopfte mit Bierkrügen auf die Tische. Isolde schämte sich ein wenig ihrer Panik, war aber hell begeistert von der geschickten

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