Die Herrin von Rosecliffe
hättest du nach London reisen sollen. Anlässlich der Krönung wird es dort von Aristokraten wimmeln. Hier in der Wildnis von Nordwales läuft dein Traummann dir bestimmt nicht über den Weg.«
»Aber in London hätte Vater mich gezwungen, Mortimers Heiratsantrag anzunehmen! Jetzt kann ich immerhin hoffen, dass der alte Lord Halyard meine Abwesenheit richtig deuten und seinen Sohn veranlassen wird, einen Rückzieher zu machen. Oder vielleicht gelingt es Mutter unterwegs, Vater zur Vernunft zu bringen.«
Osborn schmunzelte wieder. »Josselyn wird sich ohne jeden Zweifel einmischen. Du musst Geduld haben, Isolde. Irgendwann und irgendwo begegnest du vielleicht doch noch deinem Märchenprinzen.«
»Hmmm«, schnaubte Isolde, fühlte sich aber doch etwas wohler. Über die Schulter hinweg warf sie einen letzten Blick auf die Reisegruppe, die sich jetzt dem do men, der Grabstätte vergangener Zeiten, näherte. Dahinter begann die alte Straße quer durch den dichten Wald. »Bleiben sie wirklich einen ganzen Monat weg?«
»Vielleicht sogar noch etwas länger. Ich vermute, dass du während dieser Zeit in Rosecliffe alle möglichen Veränderungen vorzunehmen gedenkst, über die dein Vater nach der Rückkehr vor Wut kochen wird.«
Ein Lächeln huschte über Isoldes Gesicht. Osborn hatte es von jeher verstanden, sie aufzuheitern. »ja, ein Monat gibt mir reichlich Gelegenheit dazu ... Ich werde mich hier für die Freuden entschädigen, die in London auf mich gewartet hätten, wenn Vater nicht so stur gewesen wäre ... «
Beim domen zügelte Rand sein Pferd. Er hatte Newlin lange nicht gesehen, doch jetzt hockte der alte Barde wieder auf dem flachen Stein, der auf fünf aus dem Erdboden emporragenden Felsblöcken ruhte. Sein weiter grüner Umhang verhüllte den missgestalteten Körper und ließ nur den grauhaarigen Kopf frei. Wie alt mochte Newlin jetzt sein? Schon vor zwanzig Jahren, als Rand nach Wales gekommen war, hatte er uralt ausgesehen. Vielleicht hatten jene Waliser Recht, die glaubten, dass der weise Krüppel ewig leben würde. Sollte das der Fall sein, so hoffte Rand, dass Newlin seinem Erben Gavin und dessen Nachkommen ebenso gute Ratschläge wie ihm selbst geben würde.
Er gab ein Zeichen, und die ganze Gruppe ritt weiter. Nur Josselyn blieb dicht an seiner Seite.
»Na, unterwegs nach London?«, fragte Newlin.
»Ja, nach London«, bestätigte Rand. »Wir alle - ob nun Engländer oder Waliser - hoffen von ganzem Herzen, dass der junge Heinrich ein besserer König als Stephen sein wird.«
Der alte Barde zuckte mit einer krummen Schulter. »Wie jeder Herrscher, so wird auch er nicht all jenen gefallen, die in seinem Schatten leben müssen.«
»Wird er uns gefallen?«, wollte Josselyn wissen.
Newlin lächelte ihr zu, und es war nicht das abgeklärte Lächeln eines Greises, das er ihr schenkte, sondern das gänzlich unschuldige Lächeln eines Kindes. Nein, Newlin war wirklich nicht mit den Maßstäben normaler Menschen zu messen!
»Heinrichs Wünsche entsprechen in etwa jenen deines Mannes«, sagte er ruhig. »Friede durch Stärke und Wohlstand für alle.«
»Will das nicht jeder?«
» Im Grunde schon, aber nicht jeder versteht darunter das Gleiche.«
Rands Hände verkrampften sich um die Zügel, und er spürte, dass seine Finger nicht mehr so beweglich wie in seiner Jugend waren, sondern altersbedingt ziemlich schnell steif wurden. »Willst du damit sagen, dass Heinrichs Herrschaft zu neuen Konflikten in den Grenzgebieten führen wird?«
Der Barde zuckte wieder mit einer Schulter. »Vielleicht ... Vielleicht wird es aber nur ein anderer Ansatz sein, und die Zufriedenheit der Menschen wird bestehen bleiben ... «
»Ein anderer Ansatz? Die Leute hier sind jetzt schon seit vielen Jahren ... «
»Die Zeiten ändern sich.« Josselyn legte ihrem erregten Mann beruhigend eine Hand auf den Arm. »Wir können die Zukunft nicht vorhersagen. Wer weiß, was sein wird, wenn Gavin irgendwann der Herr von Rosecliffe ist.«
»Falls er es werden wird«, murmelte Newlin. Obwohl er es ganz sanft sagte, zuckten Rand und seine Frau erschrocken zusammen, und Josselyn lenkte ihr Pferd näher an den domen heran.
»Ist Gavin in Gefahr? Droht ihm irgendein Unheil?«
Der Barde bedachte sie wieder mit seinem unschuldigen Lächeln. »Mach dir keine Sorgen, Mädchen.
Gavin wird sich seine eigene Zukunft schmieden, ebenso wie eure anderen Kinder. Aber vielleicht werden sie eine andere Wahl treffen als ihr glaubt.«
Josselyn
Weitere Kostenlose Bücher