Die Herrin von Rosecliffe
entspannte sich. »Beziehst du dich jetzt auf Isolde und den törichten Entschluss ihres Vaters, sie zu einer Ehe zu zwingen?« Sie warf ihrem Mann einen strafenden Seitenblick zu, den er genauso vorwurfsvoll erwiderte.
Newlin schaute an ihnen vorbei, empor zu der imposanten Burg auf dem steilen Felshügel, die in der Morgensonne wie ein Kleinod schimmerte und uneinnehmbar zu sein schien, obwohl sie nichts Bedrohliches an sich hatte. »Auch Isolde wird ihr Schicksal selbst entscheiden müssen. Ihr habt eure Kinder sehr. gut erzogen. Jetzt müsst ihr ihnen erlauben, ihr Leben selbst zu schmieden.« Nach diesen Worten zog der alterslose Barde sich völlig in sich zurück, und sein verkrüppelter Körper schien dadurch noch kleiner zu werden.
Rand und Josselyn kannten ihn gut genug, um zu wissen, dass er nicht mehr mit ihnen sprechen würde, und ritten deshalb langsam weiter.
»Gute Ratschläge, findest du nicht auch?«, murmelte Josselyn.
»Vielleicht«, gab Rand nach langem Schweigen zu.
»Du wirst Isolde also nicht mehr bedrängen, den jungen Halyard zu heiraten? Sollen wir nicht einen .Reiter nach Rosecliffe zurückschicken und ihr ausrichten lassen, dass sie uns unbesorgt begleiten kann? Ich finde es schrecklich, dass sie diese Reise nach London versäumt.«
»Du verlangst zu viel von mir, Weib«, knurrte Rand.
»Wirklich?« Josselyn lenkte ihren Zelter so dicht an seinen Hengst heran, dass ihre Knie sich berührten. »Rand ... «
»Nein, sie bleibt wo sie ist. Isolde ist viel zu eigensinnig, und ich möchte, dass sie das einsieht.«
»Und ihre Verlobung mit Mortimer Halyard?«
Rand rutschte nervös im Sattel hin und her. Es fiel ihm wahnsinnig schwer zuzugeben, dass er sich möglicherweise in eine falsche Idee verbohrt hatte. »Ich Werde noch einmal darüber nachdenken ... Aber sie braucht auf jeden Fall einen Ehemann.«
Für dieses Eingeständnis wurde er durch eine warme Hand auf seinem Oberschenkel belohnt. »Du bist wundervoll«, säuselte Josselyn. »Ich kann nur hoffen, dass Isolde einen so perfekten Ehemann wie dich finden wird.«
»Perfekt?«, schnaubte Rand. »Ha!«
»Vergangene Nacht warst du perfekt.« Sie schenkte ihm ein betörendes Lächeln. »Jedenfalls meiner Ansicht nach.«
Sie schauten einander tief in die Augen. Zwanzig Jahre war es her, seit Rand das junge walisische Mädchen zum ersten Mal gesehen hatte. In diesen zwanzig Jahren hatten sie eine Familie gegründet eine mächtige Festung erbaut und gemeinsam ein Leben geführt, das er für nichts in der Welt eingetauscht hätte. Zwanzig Jahre, und er liebte Josselyn mit jedem Tag mehr und begehrte sie genauso wie am ersten Tag.
Er legte eine Hand auf ihre und beugte sich zu ihr hinüber. »Ich kenne unweit von hier eine grüne Laube«, flüsterte er. »Dort wird uns niemand stören ... Wir können die anderen später einholen.«
Hinter ihnen saß Newlin lächelnd auf seinem Stein und wiegte sich wie in Trance vor und zurück Veränderungen lagen in der Luft ... Niemand konnte sie aufhalten, und niemand - nicht einmal er - konnte vorhersagen, ob sie große Freude oder aber großen Schmerz auslösen würden.
Für Isolde zog sich der Tag entsetzlich in die Länge. Sie vermochte sich nicht einmal für die fast fertige Kapelle zu begeistern, und gegen Mitte des Nachmittags hielt sie es vor Trübsal nicht mehr in der Burg aus, die ihr ohne ihre Eltern und Schwestern sehr leer vorkam.
»Ich glaube, ich werde einen Spaziergang ins Dorf machen«, sagte sie in der Halle zu Odo.
»Sagt lieber Osborn Bescheid - und nehmt eines der Dienstmädchen mit«, riet er ihr.
Isolde nahm ein Dienstmädchen mit, sagte Osbom aber nicht Bescheid, denn er würde darauf bestehen, dass zwei Wachposten sie begleiteten, und sie wollte lieber mit Magda allein sein. Sie würden zwei Körbe mitnehmen, um - wie es jeden Tag gemacht wurde Brot an bedürftige Haushalte zu verteilen. Magda war fast gleichaltrig, auch noch nicht verheiratet und würde Isoldes Dilemma deshalb bestimmt verstehen.
Nachdem sie die Zugbrücke überquert hatten, wandte sie sich an das schüchtern schweigende Mädchen. »Sag mal, Magda - hat dein Vater einen Ehemann für dich ausgesucht?«
Die mit üppigen Rundungen ausgestattete junge Frau schüttelte den Kopf. »Er hat außer mir noch fünf Töchter und vier Söhne und kann sich nicht um solche Dinge kümmern.« Ermutigt durch die Offenheit ihrer Herrin fuhr sie fort: »Seit kurzem habe ich einen Verehrer, mit dem mein Dad durchaus
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