Die Herrin von Sainte Claire
Geplapper Mathildes lauschen, so sehr ihr das Mädchen auch ans Herz gewachsen war.
»Hilda gab mir Bescheid, daß du hier oben bist, also bin ich gekommen, dir beim Anziehen und Frisieren zu helfen. Oh, ich bin ja so aufgeregt!«
»Mmmph!« Alaine versank tiefer in den Zuber.
»Ach, Alaine! Deine Hände! Wie abscheulich!« Sie ergriff eine der Hände Alaines, die am Zuberrand lag, und stieß beim Anblick des Schmutzes unter den Fingernägeln und in den Hautrillen einen Entsetzenschrei aus. »Oh! Wir müssen dringend dagegen etwas unternehmen! Und deine Haare! Ohhh!« beutelte es sie. »Es würde mich nicht wundern, wenn du auch noch Flöhe hättest!«
Alaine seufzte gottergeben. Die Zeit der Erholung war nun offensichtlich vorbei.
»Hadwisa«, fragte Mathilde mit zierlich gekräuselter Nase, »wo sind die Kleider, die sie getragen hat?«
»Ich habe sie verbrannt«, antwortete Hadwisa. »Man kann nie wissen, welches Ungeziefer sich darin eingenistet hat.«
»Ach, hört doch auf, ihr beiden«, befahl Alaine. »Ich habe mich jeden Tag mit dem Wasser gewaschen, das ich eigenhändig aus dem Brunnen gezogen habe, was ich von den meisten Küchenmägden nicht behaupten kann. Sie haben kaum die Zeit, zu essen und zu schlafen, und schon gar nicht, um sich zu baden. Versuch du mal, dich sauber zu halten, wenn du ein paar Tage in der Küche gearbeitet hast!«
Als Antwort drückte Hadwisa ihr den Kopf unter Wasser und begann zu schrubben, bis jede Haarsträhne vor Sauberkeit quietschte.
»Viel besser!« rief Mathilde, als Alaine aus dem Bad stieg und sich von einer der Mägde aus der Schar, die von Hadwisa ständig aus dem Gemach rein- und rausgejagt wurden, mit einem Handtuch umwickeln ließ.
Sie schwelgte im Hochgenuß, als die alte Amme ihr Haar vor dem Feuer trocknete. Mathilde gab schnalzende Laute von sich und kommentierte die Gewänder, die von einer der Mägde aufs Bett ausgebreitet worden waren.
»Ist das alles, was du besitzt, Alaine?« fragte sie schließlich.
Alaine grinste sie keck an. »Ich ziehe Tunika und Hosen vor.«
Verzweifelt runzelte ihre Stiefschwester die Stirn. »Nun, dann muß wohl dieses herhalten.« Sie hielt das kostbar bestickte Untergewand und Gewand in die Höhe, das Alaine zur Begrüßung des Eroberers Gilbert getragen hatte und das beinahe ihr Hochzeitsgewand geworden war.
»Das nicht«, erwiderte Alaine bestimmt.
»Keines ist so fein«, belehrte sie Mathilde. »Mach keine Schwierigkeiten.«
Alaine schüttelte den Kopf, während die Haarbürste in ihren dichten Locken baumelte. »Du kannst das ebenso ins Feuer werfen. Die Erinnerungen, die daran haften, sind schlimmer als jedes Ungeziefer, die in den Lumpen nisten, die du eben verbrannt hast.«
Das Abendessen war ein festliches Ereignis. Die Nachricht machte die Runde, daß an diesem Abend etwas Besonderes bevorstand. Alle erschienen in ihren besten Gewändern gekleidet. Die Gefolgsmänner Roriks waren überrascht, Alaine in den Gewändern einer vornehmen Dame und zur Rechten ihres Herrn sitzen zu sehen. Verglichen mit den anderen Damen auf dem Podium, war ihre Kleidung schlicht. Sie trug keinen weiteren Schmuck als einen einfachen Stirnreif, der einen duftigen Schleier über ihren schimmernden Locken festhielt. Und doch fragte sich so mancher Mann, der ihr in den vergangenen Wochen wegen ihrer Aufsässigkeit am liebsten an die Gurgel gegangen wäre, wie er sich nur über so ein bezauberndes Geschöpf hatte ärgern können. Besonders der junge Timor konnte seine Augen nicht von ihr abwenden. Er schwor bei sich, daß dies das schönste Fräulein in der ganzen Normandie sei. Seine Speisen wurden unberührt wieder fortgetragen, und er starrte sie in einer so weltvergessener Verzückung an, daß seine Nachbarn an der Tafel kicherten und wieherten und ihn unsanft in die Rippen stießen.
Auf dem Podium wand sich Alaine innerlich angesichts der vielen Blicke, die auf ihr lasteten. Rorik saß ihr zur Linken und war ein Vorbild an Wohlerzogenheit. Er pickte die köstlichsten Happen von den Tellern, die man vorbeitrug, und legte sie ihr auf die Schüssel. Seine Konversation war recht wortkarg aber höflich und enthielt keinerlei Andeutung für seine Gründe, sie plötzlich von einer Leibeigenen zur Dame zu erheben.
Das Abendessen ging zu Ende. Ein Kuchen mit kandierten Früchten wurde als Nachtisch serviert – ein seltener Luxus auf Ste. Claire. Bierkrüge wurden nachgefüllt. Rorik hatte zu diesem besonderen Anlaß ein paar gute Weine
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