Die Herrlichkeit des Lebens
könnte ein wenig gehen und sich freuen, dass es auf der Welt nicht nur Frau Hermanns gibt, und so oder so ähnlich sagt sie es auch, macht eine Bemerkung zu seinem Hemd, das sie noch nicht kennt, was für ein schöner Mann er dochist. Den ganzen Abend haben sie es sehr fein, das Geld ist weg, aber es ist nur Geld, Hauptsache, sie sind Frau Hermann los. Vielleicht schreibt er ja über sie, sagt Franz. Ja, wirklich? Sie ist überrascht, denn bislang hat er über seine Pläne kein Wort verloren. Sie hat sich oft gefragt, worüber er schreibt, und jetzt, stellt sich heraus, schreibt er über ihr Leben in Berlin.
Als Frau Hermann ihnen kündigt, sind sie trotzdem überrascht. Angeblich hat es Beschwerden gegeben, im Haus, in der Nachbarschaft, behauptet sie, man erspare ihr die Details, sie sei nicht prüde, aber so gehe es leider nicht mal bei uns in Berlin. Sie wendet sich nur an Franz, während sie Dora wie Luft behandelt, ähnlich wie gestern Abend, als sie kaum gegrüßt hat, so mit einem Zischen, dass man gleich merkte, wie wütend sie war. Um diese Zeit unterwegs? Die halbe Rückfahrt hat sich Dora darüber geärgert, und jetzt, beim Frühstück am nächsten Morgen, spaziert sie einfach herein und macht ihnen eine Szene. Ihre Stimme klingt ziemlich schrill, offenkundig hat sie mit Widerstand gerechnet, doch als Franz sich nicht weiter äußert, dreht sie sich schnell weg und geht zurück in ihr Zimmer.
Eine Weile ist Franz empört, er kann sich nicht erinnern, jemals so behandelt worden zu sein, obwohl er schon mit einigen Vermietern zu tun gehabt hat. Mit Zimmern und Häusern, stellen sie fest, kennen sie sich aus, bei Franz waren es etwa ein Dutzend, die Hotels, Pensionen, die Sanatorien nicht gerechnet. Auch Dora ist oft umgezogen, allein in Berlin in den letzten drei Jahren fünfmal. An das Elternhaus in Pabianice erinnert sie sich kaum, aber das große Zimmer in Bedzin kurz nach dem Tod ihrer Mutter weiß sie noch. In Krakau, nachdem sie ihrem Vater weggelaufen war, wohnte sie im Keller und sah durch eine Luke die Leute auf dem Gehweg spazieren; in Breslau hatte sie ein Zimmer in der Nähe des Schlachthofs und danach am Bahnhof. Manches glaubt ihr Franz auf Anhieb nicht, den ersten Winter in einer Gartenlaube in Pankow, das winzige Zimmer über einem Tanzlokal und das noch winzigere an der Hochbahn. Man kommt doch ziemlich herum, stellen sie fest, dabei sind sie beide nicht sonderlich viel gereist, selbst Franz viel weniger, als sie gedacht hat, eigentlich war er nur in Italien, etwas Schweiz, Deutschland, Österreich. Sie möchte gern nach London oder Paris. Fährst du mit mir nach Paris? Sie hat vergessen, dass er dort schon gewesen ist, vor hundert Jahren mit Max, aber das zählt nicht, wenn er nur könnte, sagt er, würde er auf der Stelle mit ihr fahren.
Abends, in ihrem Zimmer, versucht sie sich vorzustellen, wie er mit Mitte zwanzig gewesen ist. Damals war sie ein kleines Mädchen, sie ging zur Schule, aber trotzdem: Es wäre alles gekommen wie in Müritz. Wo immer sie ihn entdeckt hätte, in einem Kaffeehaus mit Freunden, sie hätte gezittert und gehofft und ihn nie mehr vergessen. Franz sagt es so: Wenn ich dich früher getroffen hätte, wäre manches anders gewesen, aber früher konnte ich dich nicht treffen, der früheste Zeitpunkt war Müritz. Früher war ich nicht bereit. Es musste alles so geschehen, wie es geschehen ist, erst dann konnte ich dich haben und nach Berlin gehen und so leben, wie wir jetzt leben.
Am nächsten Tag ziehen sie um. Es ist mehr ein Spaziergang als ein Umzug, als würde man im Hotel das Zimmer wechseln, von einer Flurseite auf die andere. Dora ist seit dem Morgen da und hilft beim Packen, schickt ihn weg in die Stadt zum Essen, damit sie in Ruhe die Sachen transportieren kann. Zweimal muss sie hin und her. Draußen ist es frisch, aber halbwegs sonnig, eine Gruppe Kinder schaut ihr hinterher, sie wollen wissen, wohin sie reist.
In der neuen Wohnung muss sie erst mal gehen, vom großen Zimmer ins kleine und zurück ins große, wo das Sofa steht. Dann sortiert sie Wäsche und Kleider in den Schrank, hängt seine Anzüge auf, kauft für den Abend ein. Sie zieht sich um, probiert das Bad, dann, im neuen Kleid, beginnt sie auf ihn zu warten. Lange nach sechs hört sie ihn endlich an der Tür. Er hat einen Bekannten getroffen, der ihn nach Hause eingeladen hat, deshalb hat es so lange gedauert. Er ist beschämt, dass er ihr kein bisschen geholfen hat, bemerkt sofort die
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