Die Herrlichkeit des Lebens
es sich. Also hör zu. Ich weiß, wo deine Puppe ist. Das sagt Franz. Er hat sich zu dem Mädchen heruntergebeugt, er kniet vor ihm im Gras und erfindet aus dem Stegreif die Geschichte. Sie hat mir einen Brief geschickt, wenn du willst, bringe ich ihn morgen mit. Das Mädchen blickt ihn zweifelnd an. Einen Brief? Wie ist das möglich? Eigentlich ist es nicht möglich. Von meiner Puppe? Wie heißt deine Puppe denn? Das Mädchen sagt, dass sie Mia heißt. Eben von einer Puppe namens Mia habe er heute Morgen Post bekommen. Ihre Schrift sei nicht leicht zu lesen, na gut, aber geschrieben hat ihn eindeutig Mia. Franz lässt ihr Zeit, lächelt sie aufmunternd an, die Szene ist doch einigermaßen rührend. Nach anfänglichem Bedenken scheint das Mädchen die Sache für möglich zu halten. Sie beginnt zu glauben. Man wird sich einig, verabredet sich für morgen Nachmittag. Franz kniet noch immer vor ihr im Gras, fragt, ob sie auch bestimmt komme, seltsam feierlich, fast streng, als hänge, wie damals in Müritz, sein Leben davon ab.
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N ACH VIER W OCHEN kommt er allmählich an. Obwohl er kaum schreibt, hat er erstaunlich viel zu tun, kümmert sich hingebungsvoll um Emmy, telefoniert fast täglich mit ihr, hat sie bei sich im Zimmer, wo er sie so gut es geht zum Lachen bringt, damit sie nicht dauernd an Max denken muss, der auf die Hochzeit seines Bruders fahren will anstatt zu ihr nach Berlin, was für die arme Emmy eine riesengroße Enttäuschung ist.
Dauernd muss er vermitteln oder jemanden beschwichtigen oder sich rechtfertigen. Er schreibt an Max, der sich beschwert, dass er nichts hört, dem Direktor der Anstalt, der davon abgehalten werden muss, wegen Berlin die Pension zu kürzen. Letzte Woche hat er Dora in ein vegetarisches Restaurant in der Friedrichstraße eingeladen, er möchte weiterhin ins Kino, ins Theater, und stattdessen hat er da nun dieses Mädchen aus dem Park. Es wundert ihn selbst, wie wichtig ihm die Sache ist, jedenfalls nimmt er sich erstaunlich viel Zeit, berät sich mit Dora, der er alles gleich vorliest, die Abenteuer einer Puppe.
Eine Weile haben sie sozusagen ein Kind. Die Puppe ist vom Park in Richtung Bahnhof gelaufen und ans Meer gefahren. Leider hat sie kein Geld, deshalb ist es ein großes Glück, dass ein kleiner Junge die Fahrkarte für sie bezahlt. Einige Tage ist sie am Meer, dann findet sie das Meer langweilig, sie möchte auf die andere Seite des Ozeans,besteigt eines Nachts ein Schiff, von dem sie glaubt, dass es nach Amerika fährt, aber leider landet es in Afrika. So weit ist er nach drei Briefen gekommen.
Nachmittags im Park werden sie regelmäßig erwartet. Das Mädchen ist vor Kurzem in die Schule gekommen, deshalb kann es noch nicht lesen, auch einen Namen hat es, Katja, was, wie es erklärt, von Katharina kommt. Das Wetter ist gut, man setzt sich in die Wiese, dann der neueste Brief, in dem steht, dass jede Sorge überflüssig sei, auch als Puppe habe man eben Lust, zwischendurch zu verreisen, spätestens Weihnachten will sie zurück sein.
Außer diesen Briefen hat er seit Wochen nichts zustande gebracht, im Grunde das ganze Jahr 1923 kaum etwas, obwohl: Irgendwas schreibt man natürlich immer, er hat verschiedene Hefte, das Tagebuch, lose Zettel, auf denen das eine oder andere notiert ist. In einem Brief an Max hat er großspurig von seiner Arbeit gesprochen, die er hier in Berlin fortsetze, dabei sind es nur Versuche, Skizzen zu einem neuen Roman, Anfänge, Fragmente, ab und zu eine Kleinigkeit, mit der er fertig wird und die man am besten bei Gelegenheit ins Feuer wirft.
Katja fragt: Und wenn sie lieber in Afrika bleibt, was dann? In der Tat ist es inzwischen fraglich, ob die Puppe zurück will, denn sie hat sich im fernen Afrika verliebt, in einen Prinzen, sofern man ihre Andeutungen richtig versteht, nun gut, das kommt vor. Katja fragt: Hat sie den Prinzen lieber als mich? Halb möchte sie es nicht wahrhaben, sie hat Tränen in den Augen, halb beginnt sie sich zu fügen, sie hat davon gehört, in Märchen gibt es Prinzen, aber auch in Afrika?
Ein paar Tage, wie gesagt, ist das sehr nett, wie sich das kleine Wesen freut und kein Detail vergisst, sich wappnet für den Fall der Fälle, eines Tages, als die Puppe gesteht, dass sie so bald nicht komme. Der Prinz, stell dir vor, hat um meine Hand angehalten! Vierundzwanzig Stunden hat sie Bedenkzeit, aber die braucht sie nicht, sie möchte den Prinzen heiraten. Dora hätte lieber ein anderes Ende. Man könnte
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