Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Herrlichkeit des Lebens

Die Herrlichkeit des Lebens

Titel: Die Herrlichkeit des Lebens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Kumpfmüller
Vom Netzwerk:
die Freude über die mitgebrachten Sachen, sogar an einen Spirituskocher hat man gedacht, was vor allem Dora freut und dann Ottla, die ihr in der Küche hilft, wo er sie lange vertraut reden hört.
    Auf dem Weg zum Bahnhof am späten Nachmittag sagt Ottla, dass sie ihn gut versteht. Dora ist anders als wir, abereben deshalb zieht es dich zu ihr hin, oder etwa nicht? Sie ist aus dem Osten, um das Offensichtlichste nicht zu verschweigen, aber es gebe doch Gemeinsamkeiten, findet er, den praktischen Sinn, der sie beide auszeichnet, wie sie lachen. Der Vater würde nur den Osten sehen. Es ist womöglich das erste Mal, dass sie nicht über den Vater gesprochen haben, ja, sie haben ihn mit keiner Silbe erwähnt, die ganzen vier Stunden nicht, jetzt da sie beide auf ihre Weise ein eigenes Leben führen, die Schwester mit Josef und den Mädchen, und er selbst mit Dora hier in ihrer Steglitzer Wohnung.
    Zu seiner Überraschung schreibt er ohne Pause weiter. Noch in der Nacht nach Ottlas Abreise beginnt er eine neue Geschichte, von der er nicht weiß, wohin sie ihn führt, jedenfalls nicht nach Berlin, denn die Geschichte spielt im unterirdischen Bau eines Tiers. Der Schlaf ist seit Tagen mittelmäßig, aber er schreibt, er lebt mit dieser Frau, zusammen in einer Wohnung, trotzdem schreibt er. Die Frau-Hermann-Geschichte hat er Dora inzwischen vorgelesen, sie hat an mehreren Stellen gelacht, dabei ist es in Wahrheit keine Geschichte über Frau Hermann, was sie aber nicht weiß.
    Er schaut nicht mehr nur nach innen, hat er den Eindruck, wie nach einer leichten Drehung des Kopfes, als habe sich allen Ernstes etwas verändert, so erstaunlich das ist. Als hätte er immer nur den Kopf drehen müssen, und mit einem Mal schaut er nach draußen, wo Dora ist und die Erfahrung der Gemeinschaft, die er mit ihr verknüpft.
    Er hat schon öfter über Tiere geschrieben, über die niedersten Kreaturen, über eine Küchenschabe, einen Affen,einen Riesenmaulwurf, einen Geier. Über Hunde und Schakale hat er geschrieben, am Rande über Leoparden, die Katze, die die Maus frisst.
    Der Anfang der neuen Geschichte geht so: Ich habe den Bau eingerichtet, und er scheint wohl gelungen. Von außen ist eigentlich nur ein großes Loch sichtbar, dieses aber führt in Wirklichkeit nirgends hin, schon nach ein paar Schritten stößt man auf natürliches festes Gestein.
    Was gibt es sonst? Der erste Schnee ist gefallen, es ist sehr kalt, kaum Sonne, aber hin und wieder doch, wobei er das Haus seit Tagen kaum verlässt.
    Die Berliner hungern, es treffen Lebensmittelspenden aus allen Teilen Europas ein, was er nur am Rande verfolgt, ab und zu ein Detail von Dora, wenn sie die Einkäufe besorgt oder sich mit ihren Freunden trifft. An den Anblick der Bettler auf den Straßen hat man sich gewöhnt, leider besteht inzwischen die halbe Stadt aus Bettlern, die Leute sind mürbe und auf eine duldsame Weise verzweifelt, im Scheunenviertel ist die Lage am bedrückendsten, wenngleich sich die pogromartigen Ausschreitungen vom November nicht wiederholt haben. Dora sagt, dass das Jüdische Volksheim am Ende ist, sie möchte etwas tun, nicht nur Suppen kochen für die Ärmsten der Armen, sondern etwas verändern.
    Soll man über die Welt schreiben oder sie verändern?
    Er hat den letzten Brief von Robert beantwortet und erklärt, warum er so gut wie nichts von sich berichtet, weniger erklärt, nur festgestellt, dass es nicht geschieht. An die Familie schreibt er nicht, an Max, die halb vergessenenFreunde nicht, ohne schlechtes Gewissen, zumal er zu spüren meint, dass er nicht mehr viel Zeit hat.
    Er ist unter Druck und weiß nicht, ob er es schafft, dem Druck standzuhalten, zugleich hat er so viel Zeit wie nie. Vielleicht ist das ja das Glück, denkt er, diese Form der Verschwendung, abends im spärlich erleuchteten Zimmer, wenn sie sich vorlesen, Dora auf Hebräisch aus der Thora, oder er etwas von den Grimms oder aus dem Schatzkästlein von Hebel, die Geschichte vom Bergmann, die er über alles liebt. In solchen Momenten hat er das Gefühl, dass er alle Zeit der Welt hat, was ja heißt, dass sie nicht vergeudet ist, wenn er weiß, in wenigen Minuten wird er zum Schreibtisch gehen, und dann doch sitzen bleibt, so kompliziert diese Schwebesituationen für ihn weiterhin sind, wenn sie sich an ihn lehnt oder die Beine übereinanderschlägt, diese Mischung aus Erwartung und Befürchtung.
    Ein paar Tage und Nächte wühlt er in seinem Bau und wundert sich, wie einfach alles

Weitere Kostenlose Bücher