Die Herrlichkeit des Lebens
Blumen, in den beiden Schränken die Ordnung, das Kleid. Sie wirkt so frisch, findet er, irgendwie neu, oder es ist die fremde Umgebung, das elektrische Licht, an das er sich erst gewöhnen muss. An dich, sagt er. Oder doch nicht? Mein Gott, in Müritz hatte sie tagelang gedacht, wie vergesse ich ihn bloß, hoffentlich ist er nicht verheiratet, wie kann ich ihn wiedersehen. Und jetzt steht sie hier bei ihm in der neuen Wohnung und ist nervös, nicht richtig nervös, eher gespannt, auf eine mädchenhafte Art. In Liebesangelegenheiten ist er weiterhin kompliziert, aber es ist immer schön mit ihm, sie fühlt sich wohl, hat es nicht eilig. Einmal, vor Kurzem, hat sie zu ihm gesagt: So vorsichtig musst du mit mir nicht sein, worauf er sehr erstaunt war und erwiderte: Aber mit mir muss ich vorsichtig sein; was wie Rücksicht gegen dich aussieht, ist nur Rücksicht gegen mich.
Mit Anfang zwanzig ist er gelegentlich zu Prostituierten gegangen. Sie weiß nicht, warum er ihr das gesteht, ob sie es schlimm findet, für sich, ob es sie überhaupt betrifft. Eine war noch fast ein Kind, weshalb es eine gewisse Illusion der Unschuld gab; sie hatte Löcher in den Strümpfen und lachte immerzu, deshalb erinnert er sich noch. Von den anderen weiß er nur den Schrecken. Ein paar Jahre, sagt er, und dann nicht mehr. Es ist Abend, er liegt auf dem Sofa, mit geschlossenen Augen, als würde er schlafen. Sie hat nicht das Gefühl, dass das Geständnis etwas ändert, auf verquere Weise findet sie es rührend, als könnte sie spüren, wie schrecklich jung er damals war, wie sie selbst, bevor sie ihn getroffen hat, jung und unwissend.
Sie hat ein paar Sachen aus ihrem Zimmer in der Münzstraße geholt, Kleider, Wäsche, Schuhe. Die Schminksachen nimmt sie mit, den roten Lippenstift, eine angebrochene Dose Puder, Bücher für die Abende, wenn er am Schreibtisch sitzt. Er schreibt jetzt jede Nacht, bis zum frühen Morgen. Wenn er zu ihr schlüpft, wird sie kurz wach und ist glücklich, die ersten Tage, als er noch schläft, neben ihr in dem schmalen Bett, in dem sie eine Weile glaubt, sie hätte ihn gerettet.
Dass er seit Jahren schlecht schläft, hat er ihr schon in Müritz erklärt, die Sache mit den Gespenstern, die sie vielleicht nicht verstanden oder zu leicht genommen hat. Sie hat geglaubt, wenn sie in seiner Nähe ist, werden sie sich nicht blicken lassen, doch jetzt lernt sie begreifen, dass der Gegner stärker ist. Sind die Gespenster seine Sorgen? Anfangs glaubt sie das. Sie haben kaum Geld, sie leben in der falschen Zeit; in der Stadt wird demonstriert, kürzlich hat es blutige Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Arbeitslosen gegeben, Verletzte. Aber das ist es nicht. Auch seine Krankheit scheint es nicht zu sein. Sie beide wissen, dass sie nur schläft, sie kann jederzeit ausbrechen, aber die Gespenster kennt er sehr viel länger.Manchmal sind sie weg, lassen ihn kurz in Frieden, dann überlegen sie es sich anders. Sie sagt, dass sie die Gespenster nicht mag. Warum ausgerechnet du? Sie möchte etwas für ihn tun, macht in der Küche Tee, obwohl er sagt, dass es vergeudete Zeit ist, sie soll schlafen, aber dann lässt er zu, dass sie bei ihm bleibt, auf dem Sofa, bis er es für diesmal überstanden hat.
Nie hat sie sich vorgestellt, dass sie eines Tages so leben würde. In ihren jungen Jahren hatte sie tausend Pläne, mit siebzehn, achtzehn, wenn man sich allmählich fragt, wie es später wird, welchen Mann man trifft, ob man Kinder hat. Mit sechzehn wurde sie Zionistin. Sie begann, Theater zu spielen, sie kämpfte mit ihrem Vater, der den Tod der Frau nicht verwand. Mit zwanzig ging sie im Zorn von ihm weg und mit einundzwanzig ein zweites Mal. War das erst vier Jahre her? Sie hat seit jeher zum Theater gewollt, eine Schauspielerin werden wie Emmy, nur um Himmels willen nicht wie Emmy, aber in fremde Rollen schlüpfen, in fremde Texte, am liebsten jiddische und hebräische, dazu die Klassiker, Kleist, den Franz so schätzt, einiges von Shakespeare. Das wäre der Traum. Fast ist er ein wenig verblasst, etwas, an das sie sich eines Tages wird erinnern müssen, falls es dann noch wichtig ist, denn mit Franz ist es gerade nicht wichtig.
Sie erzählt Judith, wie es für sie ist, wenn er schreibt. Eigentlich sehr schön, etwas fremd, irgendwie heilig, möchte sie sagen, sie weiß nicht. Einmal hat sie ihn beobachtet, durch die angelehnte Tür. Es schien eine schwere Arbeit zu sein, weniger das Warten, wenngleich auch das Warten
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