Die Herrlichkeit des Lebens
eine neue Puppe kaufen und sagen, dass es die alte ist, Mia habe sich auf ihrer Reise verändert, aber es sei weiter die alte Mia. Nein? Der Doktor findet, nein. Es muss auch eine Lehre sein. Im letzten Brief wird er schreiben, dass die Puppe sehr glücklich ist. Hätte das Mädchen besser auf sie aufgepasst, hätte sie den Prinzen nie kennengelernt. Ist es also gut, dass du nicht auf mich aufgepasst hast, oder eher nicht? Genauso gut könnte er sagen: Wäre vor Jahren nicht die Tuberkulose bei mir ausgebrochen, hätte ich vielleicht geheiratet, wäre ich jetzt nicht in Berlin bei dir. Ist es also gut, dass die Tuberkulose ausgebrochen ist, oder eher nicht?
Sonst fehlt ihnen nichts. Sie sind zusammen, sie haben Zeit, das ist das Einzige, was zählt. Einzig die hohe Miete bleibt eine Sorge, dafür dass es nur ein Zimmer ist, in dieser wunderbaren Gegend, na schön, aber nur ein Zimmer. Alle paar Tage steht die Vermieterin vor der Tür und nennt eine neue Summe. Ende August waren es vier Millionen, inzwischen ist der Preis auf sage und schreibe eine halbe Billion gestiegen. Es hat Spannungen wegen der Lichtrechnung gegeben, es gibt Spannungen wegen Dora. Eigentlich möchte er hier nicht weg, dennoch hat er bereits die Wohnungsanzeigen studiert, er möchte das Zimmer kündigen. Eines Abends ist es heraus, bis Mitte November brauchen sie etwas Neues, wenn möglich in der Nähe. Er sagt, dass er zwei Zimmer will. Für den Fall, dass du amAbend nicht fahren willst, wenn du zu müde bist, wenn ich dich nicht lasse, jeden Abend quer durch die Stadt in diesen Zeiten. Dora mag diese Zeiten. Die Zimmer sind ihr letzten Endes egal, die Frau Hermanns dieser Welt, sogar die Stadt wäre ihr wahrscheinlich egal. Jetzt freut sie sich, weil er gesagt hat: zwei Zimmer. Sie strahlt, drüben am Schreibtisch, wo sie manchmal steht, an die Seite gelehnt, das blühende Leben.
Als habe ihnen der Umzugsbeschluss neuen Schwung verliehen, wagen sie sich tags darauf in die Stadt, fahren gemeinsam in die Jüdische Hochschule, die mitten im Scheunenviertel liegt. Gibt es einen Nachteil ihres Lebens im Grünen, so besteht er darin, dass sie so fern von den Juden sind. Der Doktor möchte lernen, er weiß so wenig über die Gebräuche, die Gesetze, die Gebete. Auch Dora möchte lernen, dabei kennt sie alles von Kindesbeinen an, hat auch keine Scheu, ihm zu sagen, dass sie abends in ihrem Zimmer betet, sie feiert den Sabbat, hält sich an die Regeln, kennt die Schrift, die für ihn nur eine Ansammlung von Geschichten ist, mit einer Botschaft, die für ihn nicht gilt.
Er versucht es weiter mit dem Theater, doch der Volksfeind mit Klöpfer ist auf Wochen hinaus ausverkauft und das Schillertheater unbezahlbar, und so sieht er statt Kortner das verheulte Gesicht von Emmy, die ihn begleitet hat und deren Forderungen an Max so klettern wie die Preise. Max soll sich endlich entscheiden, worunter sie versteht, dass er seine Frau verlassen soll, alle vier Wochen Berlin sind ihr einfach nicht genug. Einmal, bei dem Wort Pflicht, wird sie sehr ungehalten, aber sonst ist sie eher kleinlaut, erzählt von ihrem letzten Telefonat, das beglückend gewesen sei, berichtet von ihren Proben,dass sie Aussicht hat, in einem Kirchenkonzert zu singen. Richtig interessant findet er das nicht, aber er schaut sie nach wie vor gerne an, er mag ihr Parfüm, ihre Anfälle von Anschmiegsamkeit, wenn sie seine Hand nimmt und nicht loslässt, wie sie ihn anblickt, als wäre da ein zweite Emmy, die, während die erste jammert, noch ganz andere Absichten hat. Vielleicht sollte es ihn irritieren, dass sie ihn zum Abschied küsst, aber dann sagt er sich, was soll’s, schließlich ist sie Schauspielerin, für Schauspieler ist es nichts anderes als eine Gewohnheit.
Dabei ist sie eigentlich nicht sein Typ.
Er hat sich immer von dunklen Frauen angezogen gefühlt, Frauen mit tiefen, kehligen Stimmen, was auf Emmy nicht zutrifft. Dora hat so eine Stimme, auch M., wenngleich man sich an Stimmen bekanntlich schwer erinnert.
Das Komische ist, dass er sich nicht fürchtet, nicht an der Seite dieses Mädchens, obwohl die Preise schwindelerregend sind, allein in der letzten Woche haben sie sich versechsfacht, alles kostet knapp hundertmal so viel wie vor dem Krieg. Aber eine neue Bleibe haben sie. Er hatte Glück, denn die Annonce im Steglitzer Anzeiger war leicht zu übersehen, aber dann ging es sehr schnell, er musste nur kurz telefonieren und einen Besichtigungstermin vereinbaren, dann war
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